Bildung muss Gemeinschaftsaufgabe werden - Rede zur Bildungsdebatte am 10. Juni 2010

Rosemarie HeinBundestag

Das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern war – daran gibt es nichts zu rütteln – ein Flop.

Es hat die Bildungslandschaft nicht reicher und auch nicht vielfältiger gemacht. Es hat den Föderalismus nicht befördert, aber die Finanzierbarkeit von guter Bildung erheblich erschwert. Alle Oppositionsfraktionen haben Anträge zum Kooperationsverbot vorgelegt, die Linke schon früher, die beiden anderen Oppositionsfraktionen zur heutigen Sitzung. Es wird Zeit, dass sich endlich auch die Koalition bewegt. Es wird Zeit, dass sich auch die Länder bewegen.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Die Kollegin Dr. Rosemarie Hein ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Herr Dr. Spaenle, das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern war – daran gibt es nichts zu rütteln – ein Flop.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten

der SPD)

Es hat die Bildungslandschaft nicht reicher und auch nicht vielfältiger gemacht. Es hat den Föderalismus nicht befördert, aber die Finanzierbarkeit von guter Bildung erheblich erschwert. Alle Oppositionsfraktionen haben Anträge zum Kooperationsverbot vorgelegt, die Linke schon früher, die beiden anderen Oppositionsfraktionen zur heutigen Sitzung. Es wird Zeit, dass sich endlich auch die Koalition bewegt. Es wird Zeit, dass sich auch die Länder bewegen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir hoffen, dass mit diesen Anträgen in der Politik eine Debatte angestoßen wird, in der man die Sorgen und Nöte der Menschen in diesem Land ernst nimmt und sich einmal der Frage stellt, warum die Kritik am zergliederten Schulsystem beständig wächst. Worum geht es? Wir verlangen von den Menschen in unserem Land immer mehr Mobilität. Wenn man der Arbeit

nachziehen muss oder auch will, läuft man Gefahr, dass die Kinder in einem anderen Bundesland auf andere Schulformen, Schulbücher und Lehrpläne treffen, dass die Abschlüsse nicht anerkannt werden oder aber dass sie nur über Umwege erreicht werden können, weil man zum Beispiel die falsche Sprache zum falschen Zeitpunkt gewählt hat.

Die Länderhoheit und das von der Kultusministerkonferenz ausgehandelte Regelungssystem – damit meine ich ausdrücklich nicht die Bildungsstandards, sondern alle Regelungen, die es vorher schon gegeben hat und die nicht aufgehoben worden sind – sind mehr und mehr zu

einem Korsett geworden, das Innovation im Schulsystem eher hemmt als ermöglicht

(Beifall bei der LINKEN)

und das die soziale Schieflage im Bildungswesen nicht abbaut, sondern verschärft. Dabei habe ich Verständnis für die Länder, denn ich war lange genug Landespolitikerin. Die lautstarke Forderung nach mehr Einheitlichkeit bedeutet nämlich nicht, dass „einheitlich“ immer auch gleich „gut“ ist. Fakt ist: Die öffentliche Schule in der Bundesrepublik kann heute in allen Ländern nicht mehr das leisten, was sie leisten müsste. Ein Grund dafür ist die strukturelle Unterfinanzierung des gesamten Bildungsbereiches von der frühkindlichen Bildung bis hin zur Weiterbildung. Was gute Schulen können, wenn sie denn dürfen, was sie zu leisten in der Lage sind, das hat die Verleihung des Deutschen Schulpreises am gestrigen Tage eindrucksvoll dargestellt. Den Stiftern dieses Preises gehört dafür Dank, den Schulen gebührt hohe Anerkennung und Wertschätzung.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es bleibt zu hoffen, dass die Kanzlerin, die gestern den ersten Preis übergeben hat, die eindrucksvollen Bilder von der Preisverleihung in den heutigen Bildungsgipfel mitnimmt und vielleicht bei den Ländern eine größere Aufgeschlossenheit für eine wirkliche Gemeinschaftsaufgabe Bildung erreichen kann. Das wäre ein schönes Geburtstagsgeschenk für die Ministerin. Ich bin mir aber nicht sicher, ob dies das Ziel der Kanzlerin ist. Vielmehr scheint es mir, als ob die Bildungsgipfelkette zum neuen Steuerungsinstrument zwischen Bund und Ländern wird. Das wäre in der Tat fatal. Denn dabei geht es in erster Linie nicht um Qualität, sondern um Rechenkünste und viel beschriebenes Papier, und dabei gab es bisher immer eine ziemlich ergebnislose Feilscherei. Das kann für eine Bildungsrepublik nicht der Weg in die Zukunft sein.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

Die Zusagen vom Dresdener Gipfel im Jahre 2008 sind bislang uneingelöst. Sie stehen nach wie vor nur auf dem Papier. Das kann man im Übrigen auch in der jüngst veröffentlichten Klemm-Studie nachlesen. Vielmehr besteht durch das Sparpaket der Bundesregierung die Gefahr, dass neue Bildungskürzungen auf den Weg gebracht werden, auch wenn die Regierung etwas anderes behauptet. Zum Beispiel sollen bei der Arbeitsförderung im kommenden Jahr 2 Milliarden Euro und bis 2013 schon 5 Milliarden Euro eingespart werden. Dahinter stehen massive Kürzungen bei Ausbildung, Weiterbildung und Umschulung. Das aber trifft gerade jene Menschen, die darauf besonders angewiesen sind. Und dabei gibt es keine Kompensationsmaßnahmen. Was die Bundesregierung hier vorhat, ist Bildungskürzung durch die Hintertür.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

Die Linke legt den Schwerpunkt darauf, dass das öffentliche Bildungswesen wieder seiner Aufgabe gerecht werden kann, dass die soziale Schieflage abgebaut wird und dass Bildungsbenachteiligungen nach Möglichkeit gar nicht erst entstehen können. Sie entstehen zu einem großen Teil innerhalb des Bildungssystems und nicht schon vorher. Bildung in dieser Hinsicht muss zu einer echten Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Kommunen – und zwar im Rahmen eines kooperativen Föderalismus – werden. Dazu bedarf es einer gemeinsamen Finanzierung – sie ist heute nicht möglich –, statt sich immer nur neue Hilfsprogramme auszudenken. Unter den gegebenen Umständen geschieht an Komplementärförderung fast nichts mehr zwischen Bund und Ländern. Ich hoffe, dass wir im Interesse der Lehrenden und der Lernenden in eine produktive Debatte kommen, von der die Lehrenden und Lernenden am Ende auch etwas haben: dass das Bildungssystem in Deutschland besser und nicht, wie es bislang immer war, weiter verschlechtert wird.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)