Bildungshaushalt ist Stückwerk mit Rumpfcharakter

"...Je nachdem, welchen Erhebungen man folgt, müssten in die Bildung bundesweit jährlich zwischen 20 und 40 Milliarden Euro mehr investiert werden. Das 12-Milliarden-Euro-Paket erstreckt sich aber über vier Jahre; die 12 Milliarden Euro sind die Summe der Investitionen. Das heißt, pro Jahr fließen, wenn man den Durchschnitt nimmt, gerade einmal 3 Milliarden Euro mehr in die Bildung. Das ist nicht einmal ein Zehntel der erforderlichen Summe. ..."

11.09.2012 – Rosemarie Hein

Bildungshaushalt ist Stückwerk mit Rumpfcharakter

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Herr Rupprecht hat vorhin das 12-Milliarden-Euro-Ziel verteidigt und sich dafür auf die Schulter geklopft, dass die Koalition das hinbekommt. Es ist wahr. Wenn man es zusammenrechnet, kommt man auf diese Summe. Aber lassen Sie uns einmal genauer schauen, was darunter zu verstehen ist, und lassen Sie uns das Ergebnis hinterfragen.
Ich möchte mit der Frage, ob die Mittel überhaupt auskömmlich sind, anfangen. Je nachdem, welchen Erhebungen man folgt, müssten in die Bildung bundesweit jährlich zwischen 20 und 40 Milliarden Euro mehr investiert werden. Das 12-Milliarden-Euro-Paket erstreckt sich aber über vier Jahre; die 12 Milliarden Euro sind die Summe der Investitionen. Das heißt, pro Jahr fließen, wenn man den Durchschnitt nimmt, gerade einmal 3 Milliarden Euro mehr in die Bildung. Das ist nicht einmal ein Zehntel der erforderlichen Summe.


(Zuruf von der FDP: In welchem Traum leben Sie denn?)


In einer heute veröffentlichten OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“ wird demzufolge - dies passiert immer wieder - der Bundesrepublik Deutschland eine unterdurchschnittliche Bildungsfinanzierung bescheinigt. Nur 5,3 Prozent des Bruttoinlandproduktes wenden wir für Bildung auf. Der OECD-Durchschnitt liegt inzwischen bei 6,3 Prozent.


Noch schlimmer ist aber, dass diese 12 Milliarden Euro sozusagen nicht verstetigt werden, also nicht einmal die 3 Milliarden Euro jährlich werden uns erhalten bleiben. Herr Rupprecht, ich glaube nicht, dass Sie das beeinflussen und dafür sorgen können, dass diese 3 Milliarden Euro in den nächsten Jahren immer oben draufkommen. Wie gesagt, wir bräuchten viel mehr. Insofern ist es schon schwierig, wenn diese Mittel sozusagen nur ein kleiner Geldregenschauer waren, man sie aber nicht kontinuierlich in die Bildung stecken kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Schon jetzt gibt es im Bildungsbereich nicht nur Aufwüchse, sondern auch Kürzungen. Beim BAföG zum Beispiel kommt es zu Kürzungen, und das Ausbildungsplatzprogramm Ost läuft aus. Man hätte dieses Geld gut und gerne umwidmen und in ein Programm zur Förderung der Ausbildung in strukturschwachen Regionen stecken können. Das haben Sie aber nicht getan.

(Beifall bei der LINKEN)

Es wäre auch besser, wenn im Bereich der Weiterbildung, in dem stark gekürzt werden soll, nicht gekürzt würde. Sie selbst haben schließlich im Rahmen des Dresdner Bildungsgipfels das Ziel formuliert, die Weiterbildungsquote auf 50 Prozent zu erhöhen. Das ist mit Kürzungen nicht möglich.


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin Hein, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kretschmer?

Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE):

Aber gern.

Michael Kretschmer (CDU/CSU):

Frau Kollegin, Sie haben die OECD zitiert, verbunden mit dem Hinweis, dass in Deutschland mehr Geld für Bildung und Wissenschaft ausgegeben werden soll. Wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass die OECD vor allen Dingen im Bereich der privaten Mittel einen Nachholbedarf sieht und dass sich auch der bekannte Bildungsforscher Schleicher sehr für Studiengebühren ausspricht?


(Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Die sächsische Landesregierung auch!)


Würden Sie das zur Kenntnis nehmen, und könnten Sie uns dazu vielleicht Ihre Meinung sagen?


Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE):

Wissen Sie, verehrter Herr Kollege: Auch was die öffentliche Bildungsfinanzierung betrifft, liegt die Bundesrepublik Deutschland unterhalb des OECD-Durchschnitts.


(Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Stimmt nicht! Das ist falsch, was Sie da erzählen! Das ist nicht wahr! - Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Nein! Nicht richtig! - Patrick Meinhardt (FDP): Vollkommen falsch!)


Ich denke, diesen Umstand sollten wir uns als Erstes anschauen. Wir dürfen uns die Zahlen nicht schönrechnen, so wie wir sie gerne hätten.


(Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Ja, ja! Sie machen es doch so, wie Sie es gerne hätten!)


Dass wir eine Steigerung der privaten Bildungsausgaben nicht forcieren wollen, können Sie sich vorstellen. Dafür stehen wir nicht zur Verfügung. Wir wollen mehr öffentliche Mittel für die Bildung. So wie die Finanzierung momentan abläuft, ist das aber nicht möglich.


(Beifall bei der LINKEN)


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Frau Kollegin Hein, auch der Kollege Rossmann würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.


Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE):


Gerne.


Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:


Bitte schön.


Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):

Frau Kollegin, können Sie dem Haus in Anbetracht der Zwischenfrage des Kollegen Kretschmer, des Generalsekretärs des CDU-Landesverbandes Sachsen, vielleicht erklären, wie die Haltung der Sächsischen Staatsregierung in Bezug auf Studiengebühren ist, ob in Sachsen Studiengebühren eingeführt werden, ob sich der dortige Ministerpräsident Tillich vehement für die Einführung von Studiengebühren in Sachsen einsetzt und ob es eben beim Kollegen Kretschmer gegebenenfalls eine gewisse Bewusstseinstrübung in Bezug auf seine Herkunft aus Sachsen und seinen Verweis auf die OECD gegeben haben könnte?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE):

Verehrter Herr Kollege Rossmann, von der Einführung von Studiengebühren ist in vielen Ländern -  ich glaube, in den allermeisten - nicht auszugehen. Auch in Sachsen-Anhalt, dem Bundesland, aus dem ich komme, ist das bislang nicht der Fall. Das finde ich völlig richtig. Dabei sollte es auch bleiben. Denn der Weg über die private Bildungsfinanzierung führt dazu, dass immer mehr vor allem junge Menschen, die es nicht so leicht haben, Bildung zu finanzieren, von Bildung ausgeschlossen bleiben. Insofern sind Studiengebühren kontraproduktiv. Insbesondere die Ereignisse der letzten Monate in Sachsen zeigen ja, dass in der sächsischen Bildungspolitik bei weitem nicht alles in Ordnung ist.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dennoch: 12 Milliarden Euro sind mehr als nichts; das will ich Ihnen gerne zugestehen.

(Patrick Meinhardt (FDP): Wie bitte? „Mehr als nichts“? - Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Ja, genau! Ein ganz kleines bisschen ist das schon!)


Ich möchte gerne etwas zur Effizienz der eingesetzten Mittel sagen. Schauen wir uns einmal das Bildungs- und Teilhabepaket an. Die Mittel dafür sind im Haushalt des Sozialministeriums versteckt, bei den Kosten der Unterkunft. Die Gewährung der Mittel für die Teilhabe an Kultur- und Sportangeboten zum Beispiel hat vor Ort mitunter dazu geführt, dass für bislang kostenfreie Angebote für Benachteiligte nun Beiträge erhoben werden, die dann aus dem Teilhabepaket finanziert werden. Auch bei der Schulsozialarbeit haben manche Kommunen ihr eigenes Engagement durch Inanspruchnahme der Bundesmittel ersetzt. Das sind dann aber keine zusätzlichen Mittel mehr.

Oder: Die Lernförderung wird von nur 5 Prozent der Leistungsberechtigten überhaupt nachgefragt. Aber es gibt 53 000 Schülerinnen und Schüler, die die Schule ohne Abschluss verlassen. Die Zahl derer, die eine Lernförderung bräuchten, ist noch viel höher.
Warum eigentlich können wir die Schulen nicht so ausstatten, dass eine ausreichende und umfassende individuelle Lernförderung möglich ist? Warum müssen Schulen erst Bankrotterklärungen abgeben, damit die Lernenden an die Bundesknete kommen? Warum sind wir immer wieder genötigt, bei der Bildungsfinanzierung Umwege zu gehen? Ich weiß: Es gibt das Kooperationsverbot in der Bildung. Aber: Schaffen wir es doch einfach ab!


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))


Zu den wenigen Aufwüchsen im Bildungshaushalt gehört das mit zunächst 30 Millionen Euro angesetzte Programm „Kultur macht stark“. Ich habe auf meiner Sommertour bei den Vereinen einmal nachgefragt, was bei ihnen ankommt. Die meisten kannten es noch nicht. Die Vereine vor Ort, die sehr viel für benachteiligte Jugendliche tun, kommen an diese Mittel überhaupt nicht heran. Ich finde, hier ist eine Nachbesserung angesagt.
Man könnte diese Aufzählung fortsetzen. 12 Milliarden Euro hören sich eben nur in der Summe gut an. Ich habe leider nicht genug Redezeit, um noch mehr dieser Unmöglichkeiten aufzulisten, aber es gibt sie. Wir können es zum Beispiel überhaupt nicht akzeptieren, dass von diesen 12 Milliarden Euro 192 Millionen Euro allein in die Rüstungsforschung fließen, während für die Umsetzung von Inklusion nicht ein Cent vorgesehen ist. Das ist nicht hinnehmbar.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Bundesbildungspolitik ist über weite Strecken nicht mehr als ein Reparaturversuch an einem untauglichen System. Dort, wo es durchaus nützliche Programme gibt, bleibt sie Stückwerk. Es gibt ein Auf und Ab in den Programmen. Das ist alles andere als Kontinuität.
Wir kämen ein gutes Stück weiter, gelänge es, die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Bildung auf eine neue Grundlage zu stellen. Dann könnten wir aus dem Bildungshaushalt tatsächlich einen Bildungshaushalt machen und nicht das, was er jetzt ist, nämlich ein Stückwerk mit Rumpfcharakter.


Ich danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)