Deutsch-Indische Wissenschaftskooperation ausbauen

09.06.2016 – REDE IM BUNDESTAG | Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Oktober 2011 in Neu-Delhi, Nachmittag: Besuch eines indischen Grabmals mit Säulenhalle aus dem 17. Jahrhundert, eines von unzähligen wertvollen Objekten des indischen Kulturerbes, das restauriert werden soll. Am Boden sitzt eine Handvoll Männer mit Schutzbrille und Mundschutz, die unter Anleitung eines Fachmannes für Denkmalpflege Steinmetzarbeiten verrichten. Sie erhalten im Zuge dieser Restaurierungsarbeiten eine Ausbildung als Handwerker - ganz praktisch, ohne Schule.

Zwei Tage später: Besuch in einer PASCH-Schule, also einer Schule aus dem Programm „Partner der Zukunft“, von denen es weltweit 1 800 gibt - nicht alle in Indien - und die eine verstärkte Vermittlung der deutschen Sprache anbieten. Die jungen Leute zeigen uns engagiert ihre Schule. Natürlich sprechen sie deutsch. Wir erleben ein trotz Schulferien eingeübtes Programm, eine Kurzfassung indischer Geschichte - auch in Deutsch.

Es ist klar, dass bei einem solchen Besuch von Mitgliedern des Deutschen Bundestages uns vor allem die Vorzüge eines Landes gezeigt werden. Beeindruckend war das schon. Aber wir haben auch von den unbeschreiblichen Schwierigkeiten erfahren, von der sozialen Spaltung Indiens, die man überwinden möchte und von der man sich nur ein Bild machen kann, wenn man überhaupt einmal da war.

Indien ist ein Land mit jetzt 1,3 Milliarden Menschen, und es hat das Ziel, seinen Menschen viel Bildung mit auf den Weg zu geben. Das Ziel „Erziehung für alle“ ist in der Verfassung festgeschrieben. So etwas haben wir nicht einmal im Grundgesetz, obwohl ich mir da lieber „Bildung für alle“ wünschen würde. Seit 2010 gibt es das gesetzlich verankerte Recht auf staatlich geförderte Bildung - nicht auf kostenlose. Doch das staatliche Schulsystem ist schlecht ausgestattet, und es ist eine Mammutaufgabe für die indische Regierung.

Was in großen Städten langsam Gestalt annimmt, ist in den ländlichen Gebieten sehr viel schwerer umzusetzen. Aber Indien hat das ehrgeizige Ziel, 400 Millionen Menschen - das ist etwa ein Drittel der Bevölkerung - in den nächsten Jahren beruflich zu qualifizieren und 40 Millionen Studienplätze zu schaffen. Was für ein Ziel angesichts der Zahlen, mit denen wir uns hier herumschlagen und die wir gestern im Rahmen der Debatte des Berufsbildungsberichts benannt haben.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Trotzdem ist dies angesichts der Zahl der Menschen, die in Indien leben, erst ein Anfang. Darum ist es ein richtiges Anliegen, die Wissenschaftskooperation und die Bildungszusammenarbeit zu intensivieren. Allerdings darf es uns dabei nicht nur darum gehen, die Fachkräftesituation für deutsche Unternehmen in Indien zu verbessern, sondern es muss auch um eine Kooperation auf Augenhöhe gehen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich bin mir nicht sicher, ob das bei der Erstellung des Antrags immer im Blick war. Es geht mir vor allem um gegenseitigen Respekt und nicht um die missionarische Verbreitung unserer Weisheiten.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage das insbesondere mit Blick auf den Ausbau der beruflichen Bildung. So wichtig uns das duale System ist: Indien muss in Sachen beruflicher Bildung seinen Weg, der möglicherweise ein anderer ist, gehen. Wir sind immer schnell dabei, anderen Ländern aufzuschwatzen, was wir für gut befunden haben.

(Zurufe von der CDU/CSU: Ui! Ui!)

Andere Länder nehmen das angesichts der wirtschaftlichen Stärke Deutschlands auch ganz gerne an. Ich finde, wir täten gut daran, mit etwas mehr Vorsicht und Demut in die Welt zu schauen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dabei sind Beratung und Zusammenarbeit ganz sicher richtig und wichtig, Copy-and-paste nicht. Ich wundere mich schon, dass die Grünen hier so wenig kritisches Gespür haben; denn Sie haben ja diesen Antrag mitgezeichnet. Überhaupt müssen wir ein Auge darauf haben, dass die großen Entwicklungsbedarfe in Indien nicht dazu verleiten, dass deutsche Firmen nur den eigenen Mehrwert sehen. Zum Beispiel ist Indien ein Land, in dem gerne Arzneimittelstudien durchgeführt werden. Wir müssen sehr peinlich darauf achten, dass dabei keine schlechteren Standards zugelassen werden, als sie in Europa gelten.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Swen Schulz (Spandau) (SPD))

Und schließlich - auch da schaue ich die Grünen fragend an -: Wieso findet man eigentlich in dem Antrag an mehreren Stellen Förderangebote für profitorientierte private Bildungsdienstleister, aber kein Wort zu den Möglichkeiten von NGOs? Standen die nicht auf dem Besuchsprogramm? Möglicherweise wollen Sie mit dem Antrag auch nur die famosen Kooperationsbemühungen der Bundesregierung unterstützen und ins öffentliche Bewusstsein bringen. Das ist sicher gut. Mir allerdings würde das nicht reichen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)