Die Bundesregierung darf sich in der Berufsbildung nicht auf die demografische Rendite verlassen

Als die Bundesregierung in der vergangenen Woche den Berufsbildungsbericht 2011 vorgestellt hat, konnte man annehmen, es sei fast alles in Butter. Von einer Entspannung auf dem Ausbildungsmarkt war da die Rede, von einer insgesamt ausgeglichenen Bilanz. Da seien zwar noch unversorgte Altbewerber, aber die Zahl sei um 30% zurückgegangen.

Es gilt das gesprochene Wort

Als die Bundesregierung in der vergangenen Woche den Berufsbildungsbericht 2011 vorgestellt hat, konnte man annehmen, es sei fast alles in Butter. Von einer Entspannung auf dem Ausbildungsmarkt war da die Rede, von einer insgesamt ausgeglichenen Bilanz. Da seien zwar noch unversorgte Altbewerber, aber die Zahl sei um 30% zurückgegangen.
Fakt ist aber,


1. von einer Entspannung kann nicht die Rede sein. Schlimmer noch: es wurden insgesamt etwas weniger neue Ausbildungsverträge abgeschlossen als im Vorjahr. Dabei geht die Schere zwischen Ost und West weiter auseinander: während in den westlichen Bundesländern ein leichter Zuwachs von Verträgen zu verzeichnen ist, ging die Zahl der Ausbildungsplätze im Osten um über 4.000, also um 7,4% zurück. Hinzu kommt noch, dass der Anteil der überbetrieblichen, also ausschließlich öffentlich finanzierter Ausbildungsplätze mit 20% im Osten viermal höher ist als im Westen.

2. 72.000 junge Menschen haben im vergangenen Jahr keinen Ausbildungsplatz erhalten, gelten als sogenannte Altbewerber. Rechnet man alle die zusammen, die sich in den letzten fünf Jahren vergeblich um Ausbildungsplätze bemüht haben, dann kommt die beachtliche Zahl von mehr als 184.000 jungen Menschen zusammen. Und es ist ein Skandal, wenn gleichzeitig von einem Fachkräftemangel geredet wird und Unternehmen beklagen, dass sie Ausbildungsplätze nicht besetzen könnten.

3. Ein dritter Fakt: Derzeit gebe es mehr als 19.000 unbesetzte Ausbildungsstellen und nur etwas mehr als 12.000 unversorgte Bewerberinnen und Bewerber. Wenn sich nun aber diese 12.000 aus diesem Jahr und alle 184.000 die in den letzten Jahren leer ausgingen auf die offenen 12.000 Stellen bewerben würden, kämen auf einen Ausbildungsplatz 10 Bewerberinnen und Bewerber.

Eine ausgeglichene Bilanz stelle ich mir anders vor.


Ja aber, so sagt die Bundesregierung, es hätte angesichts der Wirtschaftslage noch schlimmer kommen können.


Was bitte ist denn das für ein Fortschrittsverständnis?


Wenn nun die Statistik nicht mehr ganz so schlimm aussieht, wie noch vor ein oder zwei Jahren, so ist das allein eine Folge der zurückgegangenen Zahlen von Schulabsolventinnen und Schulabsolventen. Jetzt ist der Geburtenrückgang nach der Wende im Osten vollständig in der Ausbildung angekommen. Damals waren die Geburtenzahlen auf ein Drittel des letzten Vorwendejahres gesunken und so hat sich die Zahl der Schulabgängerinnen und Schulabgänger, die einen Ausbildungsplatz suchen, im Osten halbiert.


Die Positivbilanz, die nun die Bundesregierung einfährt, ist also dem Geburtentief des Ostens geschuldet und man bekommt den Eindruck, dass die Bundesregierung die Ausbildungsmisere mehr oder weniger ausgesessen hat.

Die Bundesregierung setzt offensichtlich immer noch auf das Prinzip Hoffnung. Zum einen hofft man auf weiter zurückgehende Schülerzahlen, zum anderen auf einen überproportionalen Anstieg des Bruttoinlandsproduktes, das wohl die Wirtschaft zu mehr Ausbildungsplätzen animieren soll.


Alles in allem haben wir den Eindruck, dass man sich heftig in die Tasche lügt. Hinzu kommt, dass es zugegebener Maßen eine große Dunkelziffer gibt, weil in der Statistik nur die Bewerberinnen und Bewerber erfasst werden, die sich bei der Bundesagentur für Arbeit und anderen sogenannten zugelassenen Trägern melden. Das machen aber nur gut die Hälfte der AbsolventInnen eines Jahrganges.


Wenn nun aber die Bundesregierung gar nicht so genau weiß, wer warum wie lange einen Ausbildungsplatz sucht und wer wann einen findet oder nicht – wie kann sie dann helfend eingreifen?


Darum lesen wir mit Interesse, dass es endlich Bemühungen gibt, eine bessere Ausbildungsstatistik vorzulegen. Das hat meine Fraktion vor Monaten gefordert.

Ein weiteres Problem bleibt das Übergangssystem.


Unternehmen beklagen die mangelhafte Ausbildungsfähigkeit als Grund, weshalb nicht alle Ausbildungsplätze besetzt werden können. Aber woran bemisst sich die Ausbildungsfähigkeit? Im Bericht kann man dazu keine Aussagen finden.
Ein Kästchen gäbe es in den Formularen der Bundesanstalt. Da mache man ein Kreuz oder eben keines. Nach welchen Maßstäben bleibt undurchsichtig. Auch der Staatssekretär hat mir in der vergangenen Woche darauf keine Antwort geben können.
Im Jahre 2010 landen 324.000 Jugendliche in diesem System. Bekannt ist aber dass das ein- oder mehrmalige Durchlaufen des Übergangssystems längst nicht allen jungen Menschen den Übergang in die berufliche Ausbildung erleichtert.

Mit der Zahl der Jahre erfolgloser Bewerbungen auf dem Ausbildungsmarkt sinkt die Chance auf eine erfolgreiche Vermittlung drastisch. Erschreckend ist aber der Befund, dass fast 1,5 Millionen junger Erwachsener zwischen 20 und 29 Jahren über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt. Außer beruhigenden Sprüchen hat die Bundesregierung dagegen kein irgendwie überzeugendes Konzept.

Nun scheint ein aber neues Problem herangewachsen: der vermeintliche oder tatsächliche Fachkräftemangel.


Zunächst ist einmal festzuhalten, wenn in den vergangenen Jahren ausreichend Ausbildungsplätze vorgehalten worden wären, gäbe es keinen Mangel. Jetzt aber stellt man fest, man könne auf keinen der jungen Menschen verzichten.


Ja, konnte man es denn je???


Offensichtlich konnten die Unternehmen in Zeiten starker Jahrgänge einfach die besten aussuchen. Der Rest wurde abgeschrieben. Man konnte ja wählen. Nun aber wählen die Bewerberinnen und Bewerber.


Im Bericht findet sich eine Übersicht, das Schaubild 10 mit den Berufen, in denen jetzt schon ein BewerberInnenmangel beklagt wird. Das sind Berufe in der Gastronomie, Verkäuferinnen, Bäcker, Gebäudereiniger usw. Alle diese Berufe finden sich in einer Tabelle meines Bundeslandes zu Tarifverträgen und Entgelten mit einem Stundenlohn unter 7.50 €. Der höchste aus dem Schaubild ist der im Gebäudereinigerhandwerk mit einem Stundenlohn von 6.58 €, und das ist sogar ein Branchenmindestlohn.


Bedenkt man dann noch die Arbeitsbedingungen in diesen Berufsgruppen, dann ist ziemlich klar und auch verständlich, dass diese Berufe zu diesen Konditionen nicht mehr gewählt werden. Da funktioniert der Markt eben mal anders herum. Ein anständiger gesetzlicher Mindestlohn und menschenwürdige Arbeitsbedingungen würden die Attraktivität dieser Berufe deutlich erhöhen.

Es gibt viele beunruhigende Befunde in diesem Berufsbildungsbericht. Einen möchte ich noch hervorheben.

Im Berufsleben vieler Menschen wird Weiterbildung immer wichtiger. Darum ist es nicht zu verstehen, dass der Teil Weiterbildung im Berufsbildungsbericht ausgesprochen dürftig ist. Möglicherweise liegt die Ursache ja darin, dass in den kommenden Jahren die Mittel der Bundesagentur für Arbeit um 5 Mrd. € jährlich gekürzt werden sollen, die dann für Maßnahmen beruflicher Weiterbildung fehlen werden. Dann redet man besser gar nicht drüber. Ein aussagefähiges Zahlenmaterial gibt es ohnehin nicht.


Was also tun?


In der Abteilung Programmerfindung mangelt es offensichtlich nicht an Ideen:
Der Nationaler Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs wurde bis 2014 verlängert.
„Abschluss und Anschluss – Bildungsketten bis zum Ausbildungsabschluss“ heißt ein anderes Programm, das unter anderem die Berufseinstiegsbegleiter beinhaltet.

Weitere Programme heißen „EQ plus“; „APO“, „BOB“; „ÜBS“, „ARENA“, „VERA“ und „Jobstarter Connect“ und das hört sich alles irgendwie lustig an. Lustig ist es aber gar nicht. Dabei wird immer unübersichtlicher, was läuft wie lange und richtet sich an wen. Hinzu kommen noch die landeseigenen entwickelten Programme und Modellprojekte.

Rechnet man das zusammen wird sehr viel Geld hineingesteckt und doch kaum etwas Flächendeckendes hinbekommen.

Ich bin ja sehr für Vielfalt, aber das klingt doch mehr nach Wirrwarr.

Nein, so wird das nichts werden. Auch die Programme, die nun frühzeitig in Schulen eingreifen sollen um abschlussgefährdeten Jugendlichen zu helfen, sind nur Reparaturprogramme für ein verfehltes Bildungssystem.

Wenn in Zukunft immer weniger Arbeitsplätze für gering Qualifizierte vorhanden sein werden, muss man für bessere Bildung sorgen.

Wir brauchen mehr Geld dort, wo Bildung von Anfang an besser gemacht werden kann. Darum muss das Kooperationsverbot fallen, damit die gemeinsame Verantwortung von Bund und Ländern auch gemeinsam wahrgenommen werden kann.

- Als erstes muss sich Schule ändern, damit mehr bessere Abschlüsse erworben werden können.

- Zweitens brauchen wir einen Rechtsanspruch auf eine qualitativ hochwertige berufliche Erstausbildung.

- Drittens muss in der Wirtschaft ein solidarisches System der Ausbildungsfinanzierung nach dem Vorbild der Bauindustrie durchgesetzt werden, an dem sich alle Unternehmen beteiligen.

- Viertens muss der Unsinn aufhören, dass die einen eine Ausbildungsvergütung erhalten, andere aber noch Schulgeld bezahlen müssen, damit sie ausgebildet werden. Das betrifft zum Beispiel viele Ausbildungen im Bereich der Gesundheitsberufe. Gerade dort entsteht in den nächsten Jahren ein immenser Bedarf.

- Fünftens muss das Berufsübergangssystem weitgehend überflüssig gemacht werden, und stattdessen ausbildungsbegleitende Hilfen in der Ausbildung angeboten werden.

- Sechstens bedarf es schneller Lösungen für die heute 20 bis 29 -Jährigen ohne abgeschlossene Berufsausbildung, denn hier geht es nicht nur um individuelle Lebensperspektiven einer großen Gruppe von Menschen, sondern auch um immense Folgekosten bis zum Alter.

Das sind sicher nur einige der wichtigsten Schritte, die unbedingt gegangen werden müssen, soll mit dem Versprechen wahr gemacht werden, dass wir jeden jungen Menschen brauchen.

Vielen Dank.