Digitale Bildung endlich ernst nehmen

Rosemarie HeinBundestagAllgemeine Bildung

REDE IM BUNDESTAG „Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mal schauen, ob das mit dem Bingo etwas wird.

(Sven Volmering (CDU/CSU): Ich bin sicher!)

Ich würde auch gerne mit einem Zitat beginnen, und zwar mit einem Zitat des Vorsitzenden des VBE, des Verbandes Bildung und Erziehung. Er hat erst vor wenigen Tagen auf dem Schulleitungskongress in Düsseldorf gesagt:

Die digitale Schule gibt es in Deutschland bislang nur virtuell …

Es wurde auch kritisiert, was alles fehlt. Ich lese aus den Äußerungen seitens des VBE auch nicht viel Bestätigung, sondern eher Kritik an den Zuständen.

(Sven Volmering (CDU/CSU): Die kam ja gestern erst, die Stellungnahme!)

- Erst gestern? Dann müssen sich die Zustände aber in wenigen Tagen deutlich verändert haben. Ich glaube das nicht. Ich denke, dass die Kritik berechtigt ist, dass es dabei bleiben wird und leider auch bleiben muss.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das nennt man Virtual Reality!)

Natürlich sind die digitalen Medien aus der Bildung, aus der Schule nicht mehr wegzudenken. Nur gibt es die Voraussetzungen dafür in den Schulen in Deutschland leider nicht. Ganz sicher gibt es gute Beispiele. Ich mir habe vor drei Jahren in Magdeburg in einer Grundschule angeschaut, wie eine dritte Klasse mit Laptop und Whiteboard arbeitet. Das war ein Projekt, das von der Magdeburger Uni und vom Fraunhofer-Institut begleitet wurde. Ich war sehr neugierig auf das digitale Klassenzimmer, und hinterher war ich wirklich beeindruckt. Die Klischees, die besagen, die Kinder würden nachher nur noch am Computer sitzen, stimmen nicht.

(Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Genau!)

Da kann man sehr beruhigt sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Ist also alles gut? Nein, bei weitem nicht. Politikerinnen und Politiker aller Ebenen sonnen sich ganz gern im Lichte solcher Leuchttürme. Wir sind aber weit davon entfernt, dass die Nutzung digitaler Medien in der Schule zum Alltag gehört; Sie haben das eben anhand der Studie sehr ausführlich erläutert. Das liegt daran, dass die Schulen darauf nicht ausgerichtet sind. Die Lehrenden sind zu wenig darauf vorbereitet; die Lehr- und Lernmittel stehen nicht zur Verfügung.

Durch den uns vorliegenden Antrag soll dies nun geändert werden. In der Tat werden wesentliche Empfehlungen der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ aus der vergangenen Legislaturperiode aufgegriffen; das haben wir sehr wohl registriert.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Empfehlungen sind damals auch von allen Fraktionen begrüßt worden. Wir stehen auch heute noch dahinter; aber Begrüßen allein reicht eben nicht.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn die Koalitionsfraktionen in ihrem Antrag davon sprechen, dass die Digitalisierung in einem rasanten Tempo voranschreitet, so will ich doch fragen, was Sie denn meinen, wie weit man in zwei Jahren mit diesem rasanten Tempo kommt. Wer von uns hat eigentlich noch das Handy von vor zwei Jahren? Ich glaube, wenn wir noch fünf Jahre brauchen, dann sind die Technologien sehr viel weiter und wir fangen wieder von neuem an.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb haben wir keine Zeit mehr. Es wird aber Zeit benötigt, um das alles auf die Reihe zu bekommen.

Ich war kürzlich in einem Gymnasium meines Bundeslandes. Man braucht heute Tablets, Whiteboards, digitale Arbeitsplätze für Lehrkräfte; das kennen Sie alles. In diesem Gymnasium gibt es in jeder Klassenstufe vier Parallelklassen, also etwa 32 Klassen, und nur fünf Whiteboards. Da kommt jede Klasse, schätze ich, jedes Vierteljahr einmal dran. Das ist doch keine digitale Bildung.

(Beifall bei der LINKEN)

Und das ist schon viel, was in diesem Gymnasium zur Verfügung steht.

Was also kann Ihr Antrag bewirken? Wollen Sie der Bundesregierung tatsächlich auf die Sprünge helfen? Ich bin gespannt, was der Staatssekretär nachher sagt. Dann hätten Sie allerdings mehr aufschreiben müssen als nur die Empfehlungen der Enquete-Kommission.

Digitale Bildung geht nicht ohne Geld. Da können Sie den Breitbandausbau noch und nöcher vorantreiben. Wenn er vor der Schultür endet, ist nicht viel geholfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist etwa so, als würden Sie eine Wasserleitung bis auf den Schulhof bauen, aber die Leitungen im Schulhaus vergessen. Dann können Sie zwar noch eine Pumpe anschließen und das Wasser ins Klassenzimmer tragen. Das geht aber mit digitalen Daten nicht.

(Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schöner Vergleich!)

Sie haben gerade ein Infrastrukturprogramm des Bundes beschlossen. Das wäre doch eine Chance gewesen, auch etwas für die digitale Bildung zu tun.

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Beispiel hätte ein digitales Ausbau- und Ausrüstungsprogramm für die Länder beschlossen werden können. Bei der energetischen Sanierung machen Sie das doch auch. Die dadurch zur Verfügung gestellten Gelder könnten die Länder dann in die Schulen stecken. Aber so bleiben Sie bei Ihren Aufforderungen und Ankündigungen stehen, verstecken sich hinter der Länderhoheit und kommen nicht voran.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In Ihrem Koalitionsvertrag werden Gespräche mit den Ländern über Profilschulen angekündigt. In Ihrem Antrag ist das nun zum Prüfauftrag verkommen. Ich finde, das ist eine beeindruckende Leistung. Sie hören sicherlich den Sarkasmus in meiner Stimme.

Ich will ein paar Probleme nennen, über die wir dringend reden müssen und für die wir alle noch keine Lösung haben: Wie verändert sich der Unterricht, welche didaktische Aufbereitung ist nötig? Wie ist die technische Betreuung der Schulnetze zu gestalten? Eine Lehrkraft kann das nicht nebenbei machen. Wie soll die technische Erneuerung materiell und finanziell abgesichert werden? Um den sozialen Zugang zu sichern, hätten Sie ja wenigstens den Vorschlag machen können, die Mittel für das Schulbedarfspaket aufzustocken. Das könnte der Bund. So hätte man zum Beispiel zumindest für diejenigen, die von diesem Schulbedarfspaket profitieren, etwas tun können, damit sie sich mit Laptops und Tablets ausstatten. Das wäre eine Möglichkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich muss mich hier aus Zeitgründen beschränken, will aber sagen, dass es auch eine ganze Menge Risiken gibt, die damit verbunden sind und die wir noch nicht überschauen. Einige von uns sitzen ja im Ausschuss für Bildung, Wissenschaft und Technikfolgenabschätzung. Genau darum geht es auch hier. Wir haben beantragt ‑ es ist ja auch so aufgenommen worden ‑, einen Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung zu dieser Thematik einzufordern. Der wird erstellt und hoffentlich noch in diesem Jahr erscheinen. Wir wollen das nicht, um zu verhindern, dass es digitale Bildung gibt; wir wollen das, damit sie erfolgreich ist. Dazu muss man aber auch über die Probleme und Risiken sowie über die Auswirkungen etwas wissen. Darüber wissen wir zu wenig. Sie beschränken sich auf Appelle, verweisen ein weiteres Mal auf die Länder. So wird die Digitalisierung in der Bildung weiter auf sich warten lassen oder als Flickenteppich enden - wie das ganze Bildungssystem.

Schönen Dank.“