LINKE. plädiert für die Gemeinschaftsschule

Rosemarie HeinBundestagBildung

REDE IM BUNDESTAG – Rosemarie Hein | Danke schön, Herr Präsident. ‑ Meine Damen und Herren! Frau Wanka, Herr Kaufmann, bei der Bundesbeteiligung an der Bildungsfinanzierung nehme ich wahr: Die größten Bremser dabei kommen immer noch aus Bayern.

Aber lassen wir das, kommen wir zum Antrag der SPD. Unsere Kritik an diesem Antrag fängt schon mit dem ersten Satz an. Dort steht:

Das deutsche Bildungssystem ist gut …

Nein, wir haben zwar gute Schulen und gute Lehrerinnen und Lehrer, aber das Bildungssystem ist nicht gut. Die Gründe hat Ihnen Gregor Gysi vorhin ziemlich deutlich erklärt.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Dorothee Bär (CDU/CSU): Wo ist der Gysi eigentlich? Kommt her, redet, und geht dann wieder!)

Wir haben noch weitere Kritikpunkte:

Erstens. Sie bürden Ganztagsschulen die ganze Last notwendiger Reparaturen an diesem Schulsystem auf. Das können sie gar nicht leisten; diesbezüglich gebe ich meinem Vorredner teilweise recht. Ganztagsschulen, die Gymnasien sind, bleiben Gymnasien, und Sekundarschulen oder Sekundarschulen plus ‑ wie sie in den einzelnen Ländern auch immer heißen mögen ‑ bleiben in einem gegliederten System immer Sekundarschulen. Sie wollen von den Schulformen ja nicht weg.

Zweitens. Die unterschiedlichen Schulsysteme verschwinden nicht durch Ganztagsschulen, sondern bleiben erhalten. Das ist aber ein wesentlicher Punkt in Ihrem Antrag. Das können die Ganztagsschulen doch gar nicht leisten.

Drittens. Sie erwarten von den Ganztagsschulen die Umsetzung von Inklusion. Auch das können sie so nicht leisten. Wenn Sie nicht auch die Schulformen reformieren und ein tatsächlich inklusives Schulsystem etablieren, bürden Sie der Schulform, die überwiegend von Kindern aus sozial benachteiligten Elternhäusern besucht wird, auch noch die schwierigsten Inklusionsaufgaben auf. Das kann nicht funktionieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich glaube, Sie haben seit langem Ihren Frieden mit dem gegliederten Schulsystem gemacht. Noch einmal: Das kann nicht funktionieren.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rossmann?

Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE):

Aber gerne.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):

Frau Kollegin, bevor Sie die Suada fortsetzen, darf ich Ihnen den ganzen ersten Satz des SPD-Antrags vorlesen?

Das deutsche Bildungswesen ist gut, aber nicht gut genug.

Das ist der ganze Satz. Daraus können Sie entnehmen, dass wir weder blind sind noch alles schlecht finden, sondern die klassische sozialdemokratische Reformpolitik weitergeführt sehen wollen, unter anderem in Richtung Ganztagsschule, unter anderem in Richtung Inklusion, unter anderem in Richtung gemeinsames Lernen. Ist es nicht politisch fair, ganze Sätze zu zitieren?

Das deutsche Bildungswesen ist gut, aber nicht gut genug.

(Beifall bei der SPD)

Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE):

Ich finde, verehrter Herr Kollege, dass dieser Nachsatz den ersten Teil des Satzes nicht besser macht. Das deutsche Bildungssystem ist nicht gut. Es stammt aus dem 19. Jahrhundert, und da gehört es hin. Wir müssen endlich Schritte weitergehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Diesbezüglich war die SPD einmal Vorreiter. Das vermisse ich bei Ihnen jetzt einfach.

(Iris Gleicke (SPD): Trotzdem haben Sie richtig zu zitieren!)

Sie haben in fast allen Ländern, in denen Sie regieren, Ihren Frieden mit dem gegliederten Schulsystem gemacht. Es gibt kaum noch intensive Versuche, das System aufzubrechen.

Ich fahre fort. Ich verstehe auch nicht, warum die Schulsozialarbeit in Ihrem Antrag nicht mehr explizit vorkommt. Das ist ein wesentlicher Punkt in einer Ganztagsschule.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir haben dazu einen Antrag eingebracht, über den in den Ausschüssen noch zu debattieren ist. Den finden Sie offensichtlich so gut, dass Sie sich darauf beziehen. Das ist in Ordnung ‑ wir werden sehen, ob sie dem zustimmen ‑, aber mir fehlt das Thema trotzdem in diesem Antrag.

Wir plädieren aus den genannten Gründen für eine Gemeinschaftsschule. Diese muss natürlich nicht nur inklusiv sein, sondern selbstverständlich auch eine Ganztagsschule. Ich muss meinem Kollegen Kaufmann auch insofern recht geben: Sie fordern zwar ‑ richtigerweise ‑ die Zusammenarbeit mit regionalen Bildungslandschaften, mit kulturellen und sportlichen Akteuren vor Ort, vergessen dabei aber, dass das nur exemplarisch immer gut funktioniert. Sobald es in der Fläche funktionieren muss, wird es schwierig, dann fehlt die Kapazität, dann fehlt es an Möglichkeiten vor Ort. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Musikschulen in der Lage sind, jeder Ganztagsschule ein dauerhaftes Angebot zur musikalischen Förderung der Kinder zu unterbreiten. Das wird nicht funktionieren.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Das ist auch in anderen Bereichen so. Außerdem darf man nicht vergessen, dass dieser Bereich sehr stark an die Ehrenamtlichkeit gebunden ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, vor etwa 20 Jahren war die SPD die Lokomotive in der Bildungspolitik, zumindest in meinen Augen. Jetzt stehen Sie auf der Bremse, lassen unglaublich viel Dampf ab, freuen sich über die Wolken und wundern sich, dass es nicht wirklich vorwärts geht.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)