Mehr Fachkräfte für Erziehung und Bildung dringend notwendig

Rosemarie HeinBundestag

In der BRD droht ein Fachkräftemangel im Bereich der Erziehung und Bildung. Obwohl die Kindertagesplätze weiter ausgebaut werden sollen, gibt es nicht genügend Erzieherinnen und Erzieher für diese. Immer mehr Lehrer gehen in Pension. Die Bundesländer können die Ausbildung der Fachkräfte nicht allein finanzieren. Deshalb forderte DIE LINKE die Regierung dazu auf, ein Fachkräfteprogramm aufzulegen. Der Antrag wurde im Plenum abgelehnt.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Frau Canel, es hilft nichts, wenn wir hier „Schraps hat den Hut verloren“ spielen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen überlegen, welche Verantwortung der Bund tatsächlich hat.
(Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): In Hamburg kennt man das Spiel nicht, Frau Kollegin! - Gegenruf des Abg. Sönke Rix (SPD): Wir spielen das nachher mal zusammen!)

Das kennt man dort nicht? Ich erkläre es Ihnen nachher.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)

Der Bund hat zu Recht im Gesetz festgeschrieben, dass ab 2013 jedes Kind vom ersten Lebensjahr an einen Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Kindereinrichtung oder in der Kindertagespflege hat. Bundesweit sollen insgesamt 750 000 Plätze zur Verfügung gestellt werden. Zwei Drittel davon hat man bereits geschaffen. Wir bezweifeln allerdings, dass 750 000 Plätze ausreichen werden. Für eine gute Qualität in Bildung und Betreuung, sowohl in Kindereinrichtungen als auch in der Tagespflege, bedarf es   das ist unstrittig   gut ausgebildeter pädagogischer Fachkräfte. Das sehen alle in diesem Haus so, auch die Bundesregierung.

Die Bundesregierung und dieses Haus haben zwar den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz geschaffen, ein Investitionsprogramm aufgelegt und sogar Hilfen bezüglich der Betriebskosten der Einrichtungen auf den Weg gebracht. Dass man in solchen Einrichtungen auch Personal braucht, hat die Koalition, haben die Regierenden aber jedes Mal übersehen.

(Sönke Rix (SPD): Oh nein! Wir nicht!)

Deswegen haben wir nun dieses Dilemma.

Der Fachkräftebedarf ist groß. Die Standards bei der Kinderbetreuung in den Einrichtungen der Länder sind schon heute unbefriedigend. Insbesondere im Osten ist das leider so. In Sachsen-Anhalt mussten wir den Betreuungsschlüssel in den letzten 20 Jahren, meistens übrigens aufgrund von Druck aus dem Westen und aufgrund von Geldmangel, permanent verschlechtern, sodass die Bundesregierung ihn heute zu Recht als bedenklich einstuft. Zudem werden im Bundesland Sachsen-Anhalt in den nächsten Jahren Tausende Erzieherinnen in den Ruhestand gehen. Für ausreichend Nachwuchs ist nicht gesorgt. Das liegt auch daran, dass die in Sachsen-Anhalt ausgebildeten Erzieherinnen und Erzieher gern in Bayern und Hessen aufgenommen werden, wo es ebenfalls nicht genügend Fachkräfte, aber mehr Geld gibt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aha! Wer regiert denn da?)

Den jüngsten Zahlen zufolge hatten im Jahre 2009 bundesweit etwa 20 Prozent des pädagogischen Personals in Kindereinrichtungen keine pädagogische Ausbildung. Bei den Tagespflegepersonen sah es noch schlechter aus: Nur etwa 36 Prozent von ihnen hatten überhaupt eine entsprechende Ausbildung. 160-Stunden-Programme, Orientierungskurse und Schnellkurse reichen nicht aus, um in den Kindereinrichtungen die Qualität, die wir erreichen wollen, zu sichern. Meine Damen und Herren, der Erziehungsberuf ist doch kein Anlernberuf!

(Beifall bei der LINKEN)

Auch für die noch fehlenden etwa 250 000 Plätze sind die nötigen Fachkräfte nicht in Sicht. Allein dafür würden bis 2013 wenigstens 50 000 Erzieherinnen und Erzieher gebraucht. Wenn wir hier nicht etwas tun, dann läuft dieser gut gemeinte Rechtsanspruch ins Leere, weil sich niemand dafür interessiert, wenn er es nicht beispielsweise wegen der Aufnahme einer Arbeit muss. Wir wollen, dass diese Kindereinrichtungen auch Bildungsprogramme anbieten. Davon müssen auch die Eltern überzeugt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Bei der Behandlung unseres Antrages hat man uns auch hier wieder zugestanden, wir hätten gut recherchiert, aber man könne dem aus grundsätzlichen Erwägungen nicht folgen. Das ist zwar richtig, aber es gibt einen Ausweg. In § 83 SGB VIII, einem Bundesgesetz, ist festgelegt, dass der Bund „die Tätigkeit der Jugendhilfe anregen und fördern“ soll, soweit sie von überregionaler Bedeutung ist und die Länder das allein nicht schaffen können. Ich finde, diesen Passus könnte man auch nutzen, um ein Bund-Länder-Programm zu entwickeln.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will auch noch etwas zum zweiten Teil unseres Antrages sagen. Damit beziehen wir uns auf die Lehrkräftesituation an den Schulen. Auch das ist hier schon gesagt worden. Hier droht nach unserer Auffassung trotz des Schülerrückgangs - im Osten wieder deutlich stärker als im Westen - ein dramatischer Lehrermangel. Eigentlich gibt es ihn schon, aber er wird sich in allen Ländern noch wesentlich verstärken, weil derzeit fast die Hälfte der Lehrinnen und Lehrer in den Schulen über 50 Jahre alt ist.

Der Bildungsforscher Klaus Klemm hat vor einiger Zeit vorgerechnet, dass mittelfristig ein Bedarf von etwa 35 000 Lehrerinnen und Lehrern pro Jahr besteht. Nun hat die Kultusministerkonferenz im Sommer eine neue Berechnung vorgelegt. Danach soll es angeblich nur kurzzeitig und punktuell zu Engpässen kommen. Ich habe mich gefragt, warum das plötzlich so ist. Die sinkende Schülerzahl allein kann der Grund nicht sein. Ich bin dann darauf gekommen: Im Westen ist der Übergang zum berühmten G 8, also zum verkürzten Abitur, natürlich auch ein Sparmodell gewesen, wodurch Stunden eingespart wurden. Das hat zu einer Veränderung des Lehrkräftebedarfs geführt.

(Beifall bei der LINKEN)

Selbst wenn alle Berechnungen stimmen würden, was wir bezweifeln, sage ich: Wir wollten die Schule doch besser machen! Das wird aber, wenn man auf diese Berechnungen aufbaut, nicht zu erreichen sein. Mit den neuen Berechnungen macht die KMK nur darauf aufmerksam, dass man eigentlich gar nicht genau sagen kann, wie viele Lehrerinnen und Lehrer am Ende tatsächlich in den Schulen ankommen. Das hat mit dem Übergang zum Bachelor/Master-System im Studium zu tun. Deshalb müssten wir als Bund eigentlich etwas tun.
 
Das entsprechende Instrument, das es ja schon gibt, ist heute hier schon genannt worden, nämlich der Hochschulpakt. Warum kann man in diesen Hochschulpakt nicht die Säule „Studienplätze für Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter für die Schulen in den Ländern“ einbauen? Das könnte man von hier genauso finanzieren, wie man die anderen Studienplätze mitfinanziert.

(Beifall bei der LINKEN   Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): Sie wollen den Zentralstaat!)

Es hilft eben nicht, nur bildungspolitische Sonntagsreden zu halten - das Gleiche gilt für die Presseerklärung von Herrn Weinberg und Herrn Rupprecht - und deutlich zu machen, dass die Lehrerinnen und Lehrer das wichtigste Potenzial in der Bildungslandschaft sind, sondern wir müssen auch etwas dafür tun. Wir sind als Bund zwar nicht zuständig,
 
(Tankred Schipanski (CDU/CSU): Aha!)

aber verantwortlich, und diese Verantwortung müssen wir wahrnehmen.
Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)