Nachhaltigkeit muss beim Zugang zur Bildung beginnen

Rosemarie Hein

Es ist interessant, dass unter dem Begriff Nachhaltigkeit viele verschiedene Vorhaben und Projekte in Bildungsinitiativen benannt werden. Was dabei meist fehlt, sind die sozialen Komponenten der Bildung, z.B. Gerechtigkeitsfragen. Soziale Gerechtigkeit und Generationengerechtigkeit sollten auch Bestandteile einer nachhaltigen Entwicklung in der Bildung sein. Im Bericht der Bundesregierung findet sich darüber viel zu wenig. Allein den Zugang zur Bildung gerechter zu gestalten, ist eine bildungspolitische Aufgabe mit hohem Nachhaltigkeitswert.

„Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ende dieses Jahres geht sie also zu Ende, die UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“, und in jeder Legislatur legte die Bundesregierung einen Bericht vor, wie das Thema nachhaltige Entwicklung in den unterschiedlichen Bildungsbereichen untersetzt wird. Über fast 80 Seiten werden darin Projekte und Initiativen aller Bundesministerien und der Länder aufgezählt, und man könnte ob der Fülle schier beeindruckt sein. Die Bundesregierung scheint nach dem Motto zu arbeiten: Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen. Ich wage aber zu behaupten, dass die Fülle allein noch kein Ausweis für Qualität und schon gar nicht für Nachhaltigkeit ist.

Darum verstehe ich die Grundkritik des Bündnisses für Zukunftsbildung. Das ist ein Zusammenschluss von Umweltakteuren, Gewerkschaften und international agierenden Verbänden. Sie alle haben sicherlich den Brief bekommen. Das Bündnis kritisiert die Begrenztheit der Projekte. Bildung für nachhaltige Entwicklung werde in Deutschland noch immer einzelnen Personen und Institutionen überlassen, schreibt es in seinem Brief.

Es reicht eben nicht, alle Ministerien und Beauftragten der Bundesregierung über ihre Initiativen berichten zu lassen, wobei alles aufgezählt wird, was irgendwie unter der ‑ ich zitiere den Staatssekretär ‑ Fahne der UN-Dekade versammelt werden kann. Dazu gehören der Ausbau der frühkindlichen Bildung ‑ das sicherlich ‑ und die Häuser der kleinen Forscher ebenso wie das Bildungs- und Teilhabepaket ‑ dies halte ich übrigens überhaupt nicht für nachhaltig ‑, aber es wird kein Wort über die Defizite und Problemsichten verloren. Das fehlt mir in diesem Bericht.

Übrigens fehlt erstaunlicherweise auch das Programm „Kultur macht stark“. Da hat das Bildungsministerium den nachhaltigen Ansatz wohl gar nicht erkannt. Ich finde, das ist nachhaltig. Ich finde außerdem, dass sich einige Bereiche, auch in den Ländern, zu einseitig auf ökologische, umweltpolitische und globale Fragen konzentrieren; dabei geht es bei der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung auch um Gerechtigkeitsfragen, um soziale Gerechtigkeit und Generationengerechtigkeit.

Nachhaltig sein heißt nämlich, dass etwas für lange Zeit hält oder bleibt. So beschreibt es Wikipedia. Nachhaltig ist im deutschen Bildungssystem aber vor allem die Ungerechtigkeit beim Zugang zu Bildung, und das hat nachhaltige Folgen für Berufsperspektiven und persönliches Wohlergehen. Das hat uns der jüngste OECD-Bericht zum wiederholten Male unter die Nase gerieben. Das ist nichts Neues. Darum sind Fragen des Bildungszugangs und des Bildungserfolgs Nachhaltigkeitsfragen. Ich verstehe nicht, warum immer noch über 100 000 Schülerinnen und Schüler mit Hauptschulabschluss jedes Jahr im Übergangssystem geparkt werden, wenn wir landauf, landab über einen Fachkräftemangel klagen.

Das Bundesministerium der Verteidigung hatte es im Übrigen wirklich schwer, etwas zum Bericht beizusteuern. In den 45 mageren Zeilen kommt das Wort Umweltschutz genau achtmal vor. Das sollte man loben. Entschuldigung, aber ich kann an dieser Stelle nur sarkastisch sein. In meinem Bundesland baut die Bundeswehr gerade in der einzigartigen Colbitz-Letzlinger Heide eine Geisterstadt mit U-Bahn für die Ausbildung zu Kriegseinsätzen. Das hat doch nichts mit Umweltschutz zu tun. Wenn dann noch in den Schulen für den Dienst in der Bundeswehr geworben wird, ist das keine Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. Diese Kritik muss an dieser Stelle sein.

Doch es werden in dem Bericht auch sehr viele interessante Initiativen genannt, die verstetigt werden sollten. Aber wie das geschehen soll, darüber liest man nichts. Auch aus der Rede des Staatssekretärs haben wir nichts erfahren können. Vielleicht hofft die Bundesregierung auf Erleuchtung auf der Abschlusskonferenz in der kommenden Woche in Bonn, oder Frau Ministerin bringt Ideen aus Japan mit. Auch das könnte sein. Vielleicht nehmen Sie auch die nachdenklichen Töne aus einigen Ländern auf, wie die vom Kultusministerium aus Sachsen-Anhalt, das das inflationäre Nebeneinander von Themen ‑ das war ein Zitat ‑ kritisierte.

Vielleicht lesen Sie auch noch einmal nach, was der Beauftragte der Bundesregierung für Menschen mit Behinderungen geschrieben hat, nämlich dass der ‑ Zitat ‑ „Erwerb von eigenverantwortlichen und nachhaltigen Handlungsoptionen … nicht in einem separierenden und ausgrenzenden Bildungs-, Ausbildungs- und Arbeitssystem gelingen“ wird. Und vielleicht verbinden Sie das auch mit der im Bericht zu lesenden Einsicht, dass Nachhaltigkeit schon bei der Planung von Schulgebäuden, bei der Rhythmisierung des Schulalltags und bei der Bereitstellung eines gesunden Schulfrühstücks und Schulmittagessens beginnt und ebenso notwendig ist wie soziales Lernen, demokratische Beteiligung und Bildungsthemen wie Energiewende, nachhaltige Lebensweise, Mobilität und biologische Vielfalt.

Da haben wir ein gewaltiges Arbeitspensum, und die Bundesregierung kann sich da nicht herausreden mit dem Verweis auf Länderzuständigkeiten und auch nicht mit dem Hinweis darauf, dass man die Finanzierung des BAföG jetzt komplett übernimmt.“