Rede zur Ausweitung des Stasiunterlagengesetzes (StuG)

Die Aufarbeitung von Geschichte ist nicht nur wichtig für die, die in der Zeit der DDR Nachteile erlitten und Unrecht erlebt haben und deshalb Genugtuung erwarten und zu Recht Rehabilitation einfordern, sie ist auch für diejenigen wichtig, die in irgendeiner Weise Verantwortung für erlittenes Unrecht tragen oder gar selbst Schuld auf sich geladen haben. Wer nicht bereit und in der Lage ist, Lehren aus der Geschichte zu ziehen, läuft Gefahr, sie zu wiederholen. Das wollen wir nicht, und deshalb ist uns an einer ehrlichen Aufarbeitung gelegen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Um es gleich am Anfang zu sagen: Die weitere Auseinandersetzung mit der Geschichte ist für die Linke gerade wegen ihrer eigenen Geschichte unverzichtbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Aufarbeitung von Geschichte ist nicht nur wichtig für die, die in der Zeit der DDR Nachteile erlitten und Unrecht erlebt haben und deshalb Genugtuung erwarten und zu Recht Rehabilitation einfordern, sie ist auch für diejenigen wichtig, die in irgendeiner Weise Verantwortung für erlittenes Unrecht tragen oder gar selbst Schuld auf sich geladen haben. Wer nicht bereit und in der Lage ist, Lehren aus der Geschichte zu ziehen, läuft Gefahr, sie zu wiederholen. Das wollen wir nicht, und deshalb ist uns an einer ehrlichen Aufarbeitung gelegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linke befürwortet eine tiefgreifende und differenzierte Aufarbeitung von DDR-Unrecht und die Anerkennung des durch dieses Unrecht zugefügten Leids und, soweit das überhaupt möglich ist, eine Wiedergutmachung. Ich habe großen Respekt vor den Erfahrungen der Menschen – Herr Thierse hat es eben angesprochen –, die solche Sachen erlebt haben. Ich habe große Achtung vor ihnen. Opfer der Staatssicherheit müssen darum – daran führt kein Weg vorbei – dauerhaft ein Recht auf Akteneinsicht haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Dennoch werden wir den vorliegenden Gesetzentwurf ablehnen, und ich möchte versuchen, Ihnen zu begründen, warum. Unsere Ablehnungsgründe werden durch mehrere Gutachten von Sachverständigen gestützt, die im Bundestag angehört wurden.

Erstens. Mehrere Sachverständige kritisieren, dass Sie die Geltungsdauer des Gesetzes nunmehr bis zum Jahre 2019 ausweiten wollen. Dadurch wird die Überprüfungspraxis in Bezug auf Wahlämter und Mandate sowie auf Mitarbeiter im öffentlichen Dienst mit allen Folgen für die Betroffenen auf 30 Jahre nach der Wiedervereinigung ausgedehnt.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Damit gehen Sie weit über die üblichen strafrechtlichen Verjährungsfristen hinaus. Wir halten das für unangemessen.

(Beifall bei der LINKEN – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das ist kein Strafrecht! – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Einzelmeinung!)

– Das ist ja das Problem. Es ist nicht einmal Strafrecht, es ist ein moralisches Recht,

(Reiner Deutschmann [FDP]: Genau! Das wirkt auch noch 20 Jahre danach!)

das Sie höher als Strafrecht werten.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir gehen davon aus – Sie offensichtlich nicht –, dass auch Menschen, die Schuld auf sich geladen haben, zugestanden werden muss, dass sie in den letzten 20 Jahren dazugelernt haben, dass sie sich in der Demokratie gewissermaßen bewährt haben. Ich finde, man sollte das auch anerkennen.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie wollen Ehrlichkeit, wir auch. Für mich wäre aber wichtig, dass sich offizielle und inoffizielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Staatssicherheit heute ihrer Verantwortung von damals stellen.

(Beifall bei der LINKEN – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das tun Sie nicht! Lug und Trug! Das ist die Realität! – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das machen sie aber nicht! – Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Sie wollen eine Gesinnungsprüfung?)

Das aber erfahren sie nicht durch eine derartige Überprüfungspraxis. So werden der gesellschaftliche Dialog und die notwendige gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Unrecht nicht befördert, sondern eher behindert.

Ein zweiter Grund. Sie erweitern den Personenkreis der Regelüberprüfung künftig auf alle leitenden Beschäftigten bis zur Entgeltgruppe A 9 bzw. E 9. Sie weiten sie außerdem auf Wahlämter wie Ortsbürgermeister oder Aufsichtsräte in öffentlichen Unternehmen aus.

(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Ihr Gesetzentwurf sieht vor, dass alle diese Personen künftig ohne Anlass überprüft werden sollen. Auch das können wir nicht nachvollziehen.

(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Natürlich können Sie das nicht nachvollziehen! Nestbeschmutzung? Wer will das schon machen! – Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Ein Schelm, der Böses dabei denkt!)

– Hören Sie mir einfach einmal zu. Ich habe Ihnen auch sehr aufmerksam zugehört.

In einem Gutachten von Professor Weberling wird das berechtigte Interesse betont, zu wissen, wen man wählt und wer für ein öffentliches Amt tauglich ist. Ich verstehe das. Aber Regelüberprüfungen finden immer erst nach der Wahl statt, und Mitarbeiter und Angestellte im öffentlichen Dienst werden nicht gewählt. Ihr Ziel erreichen Sie über diesen Weg also nicht.

Auch 20 Jahre nach der Wiedervereinigung sehen sich viele leider immer noch nicht in der Lage, eine Verstrickung oder gar Schuld öffentlich zu bekennen, weil dieses Bekenntnis auch heute noch zum Verlust des Arbeitsplatzes führen kann und damit eine existenzielle Bedrohung bedeutet.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das war auch für die anderen so!)

Eine offene und öffentliche Auseinandersetzung über Schuld und Verantwortung, ein gesellschaftlicher Dialog darüber ist so nicht zu führen. Das bedarf einer anderen gesellschaftlichen Atmosphäre, und die schaffen Sie mit dieser Gesetzesänderung nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein dritter Grund. Sie schaffen mit dem neuen § 37 a des Stasi-Unterlagen-Gesetzes eine besondere rechtliche Regelung für eine sehr kleine Personengruppe.

(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Für eine große! Das ist nach vorn gerichtet!)

Es geht um Personen, die seit 20 Jahren in der Stasiunterlagenbehörde arbeiten – und das offensichtlich zuverlässig;
sonst hätte es ja andere arbeitsrechtliche Möglichkeiten gegeben. Ihre frühere Mitarbeit im Ministerium für Staatssicherheit war immer bekannt. Es gibt aus unserer Sicht auch heute keinen Grund, eine Versetzung in andere Behörden sozusagen per Gesetz zu verordnen.

(Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Das ist gar nicht wahr!)

Wir halten das für verfassungsrechtlich höchst bedenklich.

(Beifall bei der LINKEN – Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Falsche Information der Öffentlichkeit! Bewusst falsch!)

20 Jahre nach der Wiedervereinigung wäre es eigentlich an der Zeit, Frau Philipp, die Unterlagen des Ministeriums
für Staatssicherheit in das Bundesarchiv einzugliedern, so wie es ursprünglich beabsichtigt war.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und versenken dort!)

– Es geht eben gerade nicht darum, sie zu versenken, Herr Wieland. Eine umfassende Aufarbeitung von Geschichte bedarf nämlich nicht nur des Zugangs zu den Unterlagen der Staatssicherheit, sondern auch des Zugangs zu den Unterlagen der Parteien und Massenorganisationen sowie des Staatsapparats. Die aber liegen schon im Bundesarchiv.

(Beifall bei der LINKEN)

Eine Zusammenführung der Archivbestände könnte eine wissenschaftliche Aufarbeitung erleichtern, würde sie gerade nicht erschweren. Schon jetzt steht im Gesetz, dass der Zugriff auf diese Akten ermöglicht werden soll.

Den Zugang für die Opfer müsste man nicht erschweren. Im Gegenteil: Man könnte sogar im Gesetz festschreiben, dass es ein lebenslanges Recht gibt, in diese Unterlagen einzusehen. Wir bitten Sie nachdrücklich, über eine Zusammenführung der Archivbestände in absehbarer Zukunft nachzudenken. Das würde den notwendigen gesellschaftlichen
Dialog befördern, nicht verhindern; eine Schlussstrich-Mentalität wäre das auch nicht.

Zum Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen und SPD möchte ich noch sagen: Wir stimmen mit Ihnen bezüglich der Streichung des neuen § 37 a überein. Wir respektieren auch, dass Sie zumindest die Ausweitung des Personenkreises im Zusammenhang mit der anlasslosen Überprüfung zurücknehmen wollen. Wir würden aber mit einer Zustimmung zu Ihrem Änderungsantrag
auch der Ausweitung der Fristen zustimmen, und das können wir nicht. Deshalb wollen wir uns bei der Abstimmung über den Änderungsantrag enthalten.

(Beifall bei der LINKEN)