Rosemarie Hein, DIE LINKE: Bundesregierung schweigt sich aus und aus Bayern kommt nichts Neues

Rede zur Debatte um den Bildungsföderalismus in der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages

Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE):
Danke schön, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich finde, Selbstgerechtigkeit ist bei diesem Thema in diesem Hause völlig
unangebracht.

(Beifall bei der LINKEN)

Ebenso unangebracht ist das Hin- und Herschieben und das Verweisen auf die
Schuld des jeweils anderen. Würde man heute auf der Straße eine Umfrage starten,
wer denn künftig in Bildungsfragen zuständig sein soll, so gäbe es womöglich eine
übergroße Mehrheit für eine alleinige Bundeszuständigkeit. Den Grund dafür kann
man in einem Forum bezüglich einer Petition lesen, die die Zuständigkeit des Bundes
in Bildungsfragen fordert. Ich will aus einem Eintrag in dieses Forum zitieren, das seit
dem Jahr 2009 auf den Internetseiten des Bundestages zu finden ist. Dort heißt es:

 

Ich halte dies für eine sehr sinnvolle Forderung. Einerseits wird
von den Arbeitnehmern gefordert, dass sie maximal ortsflexibel
sein sollen, andererseits scheitert dies aber schon an den
unterschiedlichen Bildungssystemen der Länder, in denen sich
oft eher ungeeignete Bildungspolitiker selbstverwirklichen
können.

        Ich finde, das ist ein vernichtendes Urteil. Da ich viele Jahre selbst
Bildungspolitik in einem Bundesland gemacht habe, möchte ich meine Kolleginnen
und Kollegen eigentlich lieber in Schutz nehmen; aber wir alle müssen uns fragen,
was wir an dieser Stelle falsch gemacht haben.

(Beifall bei der LINKEN)

       Seit März 2010 haben die Oppositionsfraktionen allein sieben eigenständige
Anträge gestellt, in denen mehr oder minder klar gefordert wird, in der Bildung stärker
zusammenzuarbeiten und diese unsinnige Grundgesetzänderung aus dem Jahr
2006 zurückzunehmen. Die ersten Landesparlamente, darunter Sachsen-Anhalt,
haben das auch begriffen und dies auch so beschlossen. Aber bei den
Koalitionsfraktionen - wir konnten es eben hören - wird nach wie vor der Kopf in den
Sand gesteckt,

(Michael Kretschmer (CDU/CSU): Das stimmt nicht!)

von der Bundesministerin hört man auch nichts mehr in dieser Richtung, und auf
Herrn Spaenle bin ich nachher sehr gespannt.

(Michael Kretschmer (CDU/CSU): Das sind wir alle!)        

       Tatsache ist: Das Verbot der Zusammenarbeit in Bildungsfragen hat der
Bildung in Deutschland nicht genutzt, sondern geschadet.

(Beifall bei der LINKEN)

Es können weniger Schulen saniert werden, und zur Umsetzung der UN-Konvention
über die Rechte von Menschen mit Behinderung, also zu einer inklusiven Schule, die
darin ja gefordert wird, gibt es trotz der Ratifizierung dieser Konvention durch die
Bundesregierung nur halbseidene Absichtserklärungen.

(Beifall bei der LINKEN)

         Weil es die vorher möglichen gemeinsamen Finanzierungen von
Bildungsprojekten, wie zum Beispiel das Ganztagsschulprogramm, nicht mehr gibt,
werden nun Umwege gesucht, die kuriose Blüten treiben. Dazu nur ein Beispiel aus
der jüngsten Zeit:
          In meiner Rede vom Dezember zum Bildungs- und Teilhabepaket der
Bundesregierung habe ich Ihnen etwas über den Lerntreff in Olvenstedt, einem
Stadtteil von Magdeburg, erzählt, der nun von der Arbeitsagentur nicht mehr
gefördert wird und darum geschlossen ist. Nun hat der Oberbürgermeister den
Betroffenen mitgeteilt, warum das so ist: Die Weiterführung dieses Projekts führe zu
einer Wettbewerbsverzerrung, meint die Agentur, weil doch mit dem Bildungspaket
nun Lernförderung durch private Anbieter gefördert würde. - Hallo, geht’s noch? War
das Bildungspaket also nur eine Finanzspritze für den ohnehin boomenden privaten
Nachhilfemarkt, oder was sollte es am Ende sein?


(Beifall bei der LINKEN - Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Staat
gegen privat! Das ist die alte Leier!)

          Ein zweites Beispiel aus Sachsen-Anhalt: Im Landkreis Stendal hat eine
Schülerin Lernförderung beantragt, weil sie Gefahr lief, den von ihr angestrebten
Realschulabschluss nicht zu schaffen. Das Jobcenter lehnte zunächst ab, weil sie ja
noch den Hauptschulabschluss erreichen könne. Was, bitte, ist denn das für eine
Bildungspolitik?


(Beifall bei der LINKEN)

Jobcenter können eben nicht die Verantwortung für Bildungsaufgaben übernehmen.
Sie sind dazu nicht befähigt. Das ist einfach nicht ihr Job, sondern das ist der Job
von Schulen.
            Aber vielleicht hat man auch die Antwort der Bundesregierung auf die kleine
Anfrage der Linken besonders genau gelesen. Dort steht nämlich, dass das
Erreichen eines höheren Schulabschlusses regelmäßig kein Grund für Lernförderung
sei. - Meine Damen und Herren, wer dieses Bildungspaket geschnürt hat, sollte sich
sein Lehrgeld zurückgeben lassen.

(Beifall bei der LINKEN)

            Die Zeche der verfehlten Bildungspolitik von Bund und Ländern, der
eigensüchtigen Kleinstaaterei und der Wagenburgmentalität, die in vielen Ländern
immer noch herrscht, zahlen die Kinder und Jugendlichen in unseren Ländern und
deren Familien.
            Die Autorinnen und Autoren des wissenschaftlichen Gutachtens für Forschung
und Innovation in Deutschland, also des EFI-Gutachtens, wie es heißt, haben uns im
Sommer des vergangenen Jahres auch ins Stammbuch geschrieben - ich zitiere -:

Die Expertenkommission spricht sich für eine ausgewogene
Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern aus, die zur
Lösung zentraler Probleme im Bildungsbereich beiträgt.
Konkret empfiehlt sie die Rücknahme des Kooperationsverbots
zwischen Bund und Ländern.

(Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): „Ausgewogen“ heißt doch nicht
Zentralismus!)

            Sie fordern damit die Rücknahme des seit dem Jahr 2006 entstandenen
Wettbewerbsföderalismus, den es vorher so nicht gegeben hatte. Das ist das
Problem: Inzwischen können stärkere Länder mehr leisten und schwächere eben
nicht. Deshalb steht in dem EFI-Gutachten auch:

Die Bildungschancen von Kindern dürfen nicht von der
Finanzsituation eines Bundeslandes abhängen.

Zurzeit ist das aber so.

(Beifall bei der LINKEN)

             Sie kritisieren außerdem die fehlende Transparenz und Durchlässigkeit
zwischen den Bildungssystemen und Schulformen der Länder. Dort steht: Die
Schulformen, die gleiche Abschlüsse bieten, heißen in den Ländern verschieden.
Und Schulformen, die den gleichen Namen tragen, sind in ihrer inneren Struktur,
zumeist höchst unterschiedlich. - Wonach aber soll man sich richten, wenn man aus
beruflichen Gründen mit der Familie von einem Bundesland in das andere ziehen
muss? Diese Probleme beseitigt man aber nicht, wenn man nur bei der Finanzierung
ansetzt. Hier bedarf es anderer, weitreichenderer Lösungen.

(Beifall bei der LINKEN)

              Es gibt weitere Stolpersteine. In den Ländern gibt es unterschiedliche Fächer,
Fächergruppen und Schulbücher. Die Anerkennung von Abschlüssen und erreichten
Bildungsergebnissen in anderen Ländern ist nicht gewährleistet. Allerdings muss
man auch sagen: Schon der Wechsel von einer Schule zur anderen im gleichen
Bundesland kann zu extremen Hürden führen. Auch darüber müssen wir reden.
              Zwar gibt es nun gemeinsame Bildungsstandards in einigen wichtigen
Fächern, aber sie bestimmen noch lange nicht das, was in den Schulen gelernt wird.
Darum rufen heute immer mehr Menschen nach einer Bundesverantwortung und
einem Zentralabitur. Das ist so, weil wir unsere Aufgaben in der Bildungspolitik nicht
bewältigen, und schon gar nicht gemeinsam.

Um es deutlich zu sagen: Ich halte eine solche Zentralisierung und auch ein
Zentralabitur für falsch, weil ich davon überzeugt bin, dass damit keine bessere
Schule und keine bessere Bildung zustande kommen. Wer Bildungsföderalismus will,
muss ihn modernisieren. Vielfalt und Qualität, Kreativität und hohes Anspruchsniveau
gedeihen nicht in einem Korsett starrer Regeln, und auch Demokratie braucht
Vielfalt. Aber wenn sich die Länder, die Kultusminister eingeschlossen, nicht endlich
bewegen und Vielfalt ermöglichen, wenn sie Vielfalt wollen, dann wird der
Bildungsföderalismus immer mehr zur Bildungsbremse, und sein Ansehen in der
Bevölkerung nimmt weiter Schaden. Aus der angestrebten Vielfalt wird dann nur
noch Einfalt.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

             Wer das riskieren will, kann weitermachen wie bisher. Wer das nicht riskieren
will, muss endlich die Föderalismusreform von 2006 zurücknehmen, und zwar
komplett. Der Bund muss diesen Prozess moderieren. Da können wir uns nicht aus
der Verantwortung stehlen, wenn es die Länder allein nicht tun. Es gibt eine
gemeinsame Verantwortung für Bildung in diesem Land.
             Der Bund muss allerdings verstärkt auch die eigenen Aufgaben wahrnehmen.
Manches ginge schon heute, auch mit Bundesgeld, nur wird es nicht getan. So hat
die Bundesregierung den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ab dem Jahr 2013
beschlossen und dafür Geld für den Bau von Einrichtungen und für die Ausrüstung
zur Verfügung gestellt.
            Dass aber eine gute Kinderbetreuung auch ein gut ausgebildetes Personal
erfordert, wurde absichtsvoll ausgeblendet bzw. heimlich, still und leise den Ländern
überlassen. Darum beschränkt sich die Bundesregierung auf ein groß gefeiertes
Weiterbildungsprogramm. Mit einem Weiterbildungsprogramm für Quereinsteiger
kann man aber keine solide Ausbildung der notwendigen Zahl von Erzieherinnen und
Erziehern leisten. Dabei könnte der Bund nach dem Kinder- und Jugendhilferecht -
§ 83 SGB VIII; vielleicht wollen Sie nachlesen - ein Programm zur Ausbildung von
Erzieherinnen und Erziehern mitfinanzieren; denn die Länder sind dazu derzeit allein
nicht in der Lage, und das berechtigt uns, ein solches Angebot zu machen. Die Linke
hat dazu einen Antrag gestellt. Sie haben ihn abgelehnt.

            Mit dem Hochschulpakt finanziert die Bundesregierung bereits zusätzliche
Studienplätze. Aber einen solchen Pakt ausdrücklich für eine zusätzliche Ausbildung
von Lehrerinnen und Lehrern einzurichten, weigert sie sich beharrlich. Dabei wird
mehr als die Hälfte der Lehrerinnen und Lehrer in den nächsten 15 Jahren aus dem
Schuldienst ausscheiden; denn sie sind über 50 Jahre alt. Ich glaube, dass wir, um
diese Bildungsziele in der Schule umsetzen zu können, mehr Lehrerinnen und Lehrer
brauchen, mehr gut ausgebildete, zum Beispiel in bestimmten Fächern, wo es schon
seit langem einen Mangel gibt; wir brauchen mehr Pädagoginnen und Pädagogen
mit sonderpädagogischer Ausbildung. Das alles brauchen wir. Die Linke hat einen
solchen Hochschulpakt gefordert. Er wurde von Ihnen abgelehnt.
           Möglicherweise haben die Länder daran ja auch gar kein Interesse. Der
Haushaltsposten für Lehrpersonal ist in allen Bundesländern nun einmal der, der die
meisten Mittel bindet. Da der Bund die Schuldenbremse beschlossen hat, kann ich
mir vorstellen, dass die Haushälter sagen: Bei diesem großen Posten kann man gut
kürzen. Also sparen wir doch einmal bei den Lehrerinnen und Lehrern. Die
Kinderzahlen gehen sowieso zurück. Also, was soll’s? Hier ist unsere Sparbüchse. -
Ich halte das für falsch.

(Beifall bei der LINKEN)

            Wenn wir das aber nicht wollen, dann brauchen wir eine andere Politik in
Bund und Ländern, eine andere Politik bei der Herbeischaffung von Finanzmitteln.
Dazu ist vorhin in einer langen Debatte geredet worden, wie auch schon in anderen
Sitzungen. Wir brauchen eine bessere Finanzierung für eine gute
Bildungslandschaft. Die Qualität der Bildung in Deutschland geht sonst weiter zurück.
           Das wäre ganz einfach zu machen: Wir brauchen eine gemeinsame
Finanzierung von Bildung. Wir brauchen gemeinsame Bildungsziele und -standards,
damit Mobilität zwischen den Ländern möglich wird. Wir brauchen die gegenseitige
Anerkennung - beinahe hätte ich gesagt ausländischer Abschlüsse - inländischer
Abschlüsse, die in den einzelnen Bundesländern vergeben werden, und die
Akzeptanz für unterschiedliche Bildungswege. Wir brauchen ein anderes
Herangehen an das Lehren und Lernen, sodass die Kinder dort abgeholt werden, wo
sie sind, und nicht dort, wo man sie sich hin wünscht.

(Beifall bei der LINKEN)

Das bedeutet aber auch, dass man den Lehrerinnen und Lehrern die Zeit geben
muss, sich entsprechend mit den Kindern zu beschäftigen.
          Außerdem brauchen wir kostenfreie Lernmittel, damit Schülerinnen und
Schüler, die die Schule wechseln müssen, ihre Eltern nicht mit dem Kauf neuer
Schulbücher belasten müssen; oder man braucht einheitliche Schulbücher, aber das
fordert hier, glaube ich, keiner ernsthaft.
           Nach unserem Dafürhalten ginge das alles am besten in
Gemeinschaftsschulen. Aber auch das müssen die Länder beschließen.
          Ich bin gespannt, was Herr Spaenle nachher sagt. Aber wenn wir uns nicht
bewegen, dann werden uns die Menschen zum Teufel jagen, und sie haben recht
damit.
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN)