Bildungsrepublik – Wunsch und Wirklichkeit
Zu aktuellen bildungspolitischen Entwicklungen. Im Folgenden geben wir einen Überblick über zentrale bildungspolitische Entwicklungen der letzten Monate und entsprechende Schlussfolgerungen für DIE LINKE. Aufgezeigt werden zudem Diskussionspunkte, die innerhalb der Partei in diesen Feldern bestehen. Wie behandeln folgende Themen:
1. Keine Vorfahrt für Bildung bei der schwarz-gelben Bundesregierung: Die Bundesregierung verspricht, trotz Sparpaket auf Kürzungen im Bildungsbereich zu verzichten. Doch dieses Versprechen nach Vorfahrt für Bildung ist eine Lüge. Insbesondere im Bereich beruflichen Bildung und Weiterbildung wird kräftig gekürzt.
2. Bildungspaket: Zu Recht wird das von der Leyensche Bildungspaket von links aus sozialpolitischer Perspektive als Mogelpackung kritisiert, die von der erforderlichen Erhöhung von Hartz IV Sätzen ablenkt. Aus bildungspolitischer Perspektive muss zudem die damit verbundene Neuorientierung kritisiert werden, Bildungsteilhabe über auch bei privaten Trägern einzulösende Gutscheine zu sichern, anstatt über ein gut ausfinanziertes öffentliches Bildungswesen
3. Föderalismus: Die Bewertung des Bildungsföderalismus ist in der Partei unterschiedlich. Es besteht Einigkeit in der Ablehnung des Wettbewerbsföderalismus und in der Forderung nach Einheitlichkeit durch längeres gemeinsames Lernen. Unterschiedlich ist die Auffassung über das Maß an Einheitlichkeit und die Ausgestaltung des Föderalismus in der Bildung. Gleiche Lehrpläne und zentrale Prüfungen halten wir dabei allerdings nicht für zeitgemäß.
4. Schulpolitische Bewegung in den Ländern: Mit der Orientierung hin zu einem zweigliedrigen Schulmodell gerät die schulpolitische Debatte in den Ländern in Bewegung. Solch ein „Zwei Säulen Modell“ entspricht nicht der von der LINKEN geforderten inklusiven Gemeinschaftsschule für alle Kinder und Jugendlichen, da das Gymnasium als Schulform erhalten bleibt. Dennoch ist es für DIE LINKE in vielen Fällen richtig, den Weg hin zu Zweigliedrigkeit mitzugehen, dann allerdings an Kriterien zu binden, um so perspektivisch den Weg hin zu einer tatsächlichen Gemeinschaftsschule zu öffnen.
5. Entwicklungen im Bereich der Studienfinanzierung: Die schwarz-gelbe Bundesregierung versucht mit ihren „Deutschlandstipendien“ gegen alle Widerstände einen unsozialen Paradigmenwechsel in der Studienfinanzierung durchzusetzen. Das BAföG wird dagegen immer weiter ausgehöhlt.
1. Vorfahrt für Bildung!?
Während der Bundeshaushalt 2010 insgesamt um knapp 4 Prozent gekürzt wird, steigt der Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung um gut 7 Prozent an. Selbst auf dem schwarz-gelben Sparpaket prangt der Slogan ‚Vorfahrt für Bildung‘. Die Kanzlerin macht Bildung zur Chefsache und lädt die Länder seit zwei Jahren regelmäßig zu Bildungsgipfeln ein. Hier wurde im Oktober 2008 vereinbart, dass bis 2015 mindestens 7 Prozent des BIP in die Bildung fließen sollen. Das hätte – am damaligen BIP bemessen – Mehrausgaben von über 30 Mrd. Euro pro Jahr bedeutet. Zwar hat die Böckler-Stiftung errechnet, dass mind. 37 Mrd. Euro notwendig wären, um die Finanzierungslücke in der Bildung zu schließen – eine höhere Bildungsbeteiligung, die Sanierung der Schulgebäude oder eine Reform des BAföG noch nicht mit eingerechnet – eine erhebliche Anstrengung allerdings würde die Umsetzung des Bildungsgipfel-Ziels durchaus bedeuten.
Grund also für Applaus für den bildungspolitischen Kurs von Schwarz-Gelb?
Mindestens die folgenden 6 Gründe sprechen dagegen:
1. Die vollmundigen Ankündigungen bleiben weitgehend folgenlos. Auf den Bildungsgipfel folgte die Wirtschaftskrise und damit der Einbruch des BIP. Zudem rechneten die Finanzminister fieberhaft, um die Bildungsausgaben durch statistische Tricks zu erhöhen. So schrumpfte die offizielle Finanzierunglücke in der Bildung in den letzten zwei Jahren von ursprünglich über 30 auf jetzt noch 10 Mrd. Euro zusammen, ohne dass die Bildungsausgaben tatsächlich signifikant erhöht worden wären. Selbst zum Ausgleich dieser offiziellen Finanzierungslücke trägt die benannte Steigerung des BMBF-Haushalts nicht einmal ein Zehntel bei. Die Hauptlast der angekündigten Mehrausgaben sollen Länder und Kommunen tragen – doch diese setzen gerade in der Bildung vielfach bereits den Rotstift an. Es ist daher nicht überraschend, dass der Bildungsgipfel in diesem Sommer, als endlich geklärt werden sollte, wer für die vereinbarten Mehrausgaben eigentlich aufkommt, ergebnislos auseinander ging. Klar ist damit nur, dass nicht zuletzt die privaten Bildungsausgaben steigen sollen – denn auch diese sind im Bildungsgipfel-Ziel einberechnet.
2. Das schwarz-gelbe Sparpaket macht entgegen der offiziellen Verlautbarungen auch vor der Bildung nicht halt. Das viel zitierte 12-Mrd.-Programm für die Bildung ist auf 4 Jahre verteilt, die Hälfte geht in die Forschung, und von den verbleibenden jährlich 1,5 Mrd., die tatsächlich für Bildung ausgegeben werden, ist der größte Teil längst verplant (v.a. für den Hochschulpakt und die BAföG-Erhöhung) oder gehört im Grunde gar nicht zu den originären Bildungsausgaben (dies gilt v.a. für die zusätzlichen Leistungen für Kinder in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften, zu denen das BVerG die Bundesregierung verpflichtet hat). Die Bundesregierung tut hier folglich nicht mehr, als den Status Quo zu sichern – und der ist bekanntermaßen alles andere als gut. In der allgemeinen und beruflichen Bildung wird sogar kräftig gekürzt, so fällt beispielsweise das Programm zur Förderung von Ausbildungsplätzen in strukturschwachen Regionen ersatzlos weg. Noch gravierender wird der Entwurf für den BMAS-Haushalt in die Bildung eingreifen: Ausgerechnet die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach dem SGB II sollen um 1,54 Mrd. Euro (und damit um ein Viertel) gekürzt werden. Den Sparbeschlüssen der Bundesregierung zufolge sollen BMAS und BA in der aktiven Arbeitsmarktpolitik künftig jährlich sogar 5 Mrd. Euro weniger ausgeben. Ohne erhebliche Einschnitte in der Fort- und Weiterbildung von Erwerbslosen und von Erwerbslosigkeit Bedrohten sind diese Summen nicht aufzubringen.
3. Sparorgien der Länder sind vorprogrammiert. 70 Prozent der Bildungsausgaben kommen nicht vom Bund (oder von Privaten), sondern von Ländern und Kommunen. Doch in deren Haushalten sieht es wegen der verfehlten Steuerpolitik der Bundesregierung noch schlimmer aus als auf Bundesebene, die beschlossene Schuldenbremse wird damit zur Bildungsbremse. Einige Länder sind bereits vorauseilend dabei, den Kindergärten, Schulen und Hochschulen den Geldhahn zuzudrehen, andere Länder geraten zunehmend unter Druck.
4. Wo das Geld am dringendsten gebraucht wird, kommt es nicht an. Zusätzliche Mittel gehen in die Eliteförderung, während an der Basis gekürzt wird. Statt eine BAföG-Erhöhung auf den Weg zu bringen, die wenigstens mit den Lebenshaltungskosten Schritt hält, schafft die Bundesregierung ein Stipendienprogramm für die besten Studierenden (siehe unten: Studienfinanzierung). Während sie mit der Exzellenzinitiative neue Eliteuniversitäten küren will, schneidet sie den Ländern die Luft für eine ordentliche Grundfinanzierung der Hochschulen ab, in den Berufsschulen kommt der Putz von der Decke, der KiTa-Ausbau dümpelt vor sich hin. Die ‚Vorfahrt für Bildung‘ wird damit zu einer Vorfahrt für Wenige.
5. Die Betriebe werden aus ihrer Verantwortung für die Ausbildung entlassen. Ende Oktober platzten die Verhandlungen zum Ausbildungspakt mit dem DGB, der Pakt wird von der Bundesregierung mit den Arbeitgebern allein fortgesetzt, die Gewerkschaften bleiben draußen. Verbindliche Zielzahlen für das Gesamtangebot an Ausbildungsplätzen gibt es nicht, stattdessen werden 60.000 „neue“ (nicht: zusätzliche) Ausbildungsplätze „angestrebt“, „wenn die demografische Entwicklung dies erlaubt“ und wobei auch nur „alle ausbildungsreifen“ Jugendlichen versorgt werden sollen. Mit der Behauptung, ein erheblicher Anteil der SchulabgängerInnen sei nicht ausbildungsreif, wird ausgerechnet den Jugendlichen die Schuld am Ausbildungsplatzmangel in die Schuhe geschoben. 2010 fehlten schon rein rechnerisch 126.000 Ausbildungsplätze (Differenz der den Arbeitsagenturen gemeldeten BewerberInnen und Ausbildungsplätze). Der DGB hatte außerdem gefordert, 2-jährige Schmalspurausbildungen im Ausbildungspakt nicht zu berücksichtigen sowie die Erhaltung des Jugendarbeitsschutzes festzuschreiben. Die ArbeitgeberInnen jedoch wollten sich hierauf nicht einlassen, und die Bundesregierung knickte vor ihnen ein.
6.Die Arbeitsmarktpolitik macht Weiterbildung zur Niedriglohnbranche. Mit den Hartz-IV-Gesetzen ist in der SGB II/III-geförderten Weiterbildung eine wahre Dumping-Spirale ausgelöst worden. Auch schwarz-gelb kürzt hier fleißig weiter (siehe oben: Sparpaket), die Vergabepolitik der Arbeitsagenturen für Bildungsangebote ist auf eine reine Niedrig-Preis-Politik ausgerichtet. Als Konsequenz arbeiten in der Weiterbildung nur noch 90.000 festangestellte KollegInnen, aber 410.00 FreiberuflerInnen, WeiterbildnerInnen haben im Schnitt 2,1Jobs gleichzeitig, Löhne zwischen 1.000 und 1.500 Euro im Monat sind keine Seltenheit. ver.di, GEW und der Bundesverband der Träger beruflicher Bildung (BBB) haben mit einem Mindestlohntarifvertrag versucht, die Notbremse zu ziehen, doch schwarz-gelb lehnte den Antrag auf Allgemeinverbindlichkeitserklärung Anfang Oktober ab.
Aktuelle Schlussfolgerungen für DIE LINKE:
1. Öffentliche Bildungsausgaben deutlich steigern: Wir wollen die öffentlichen Ausgaben für Bildung auf 7 Prozent des BIP steigern (vgl. Wahlprogramm 2009). Dazu müssen Bund, Länder und Kommunen an einem Strang ziehen. Das Kooperationsverbot, das die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Bildung verbietet, war eine bildungspolitische Bankrotterklärung der großen Koalition und gehört so schnell wie möglich wieder abgeschafft. Klar ist aber auch, dass für eine bessere Bildungsfinanzierung die Haushalte der Länder und Kommunen den nötigen Spielraum gewinnen müssen. Hierzu brauchen wir eine andere Steuerpolitik und die Schuldenbremse muss zurückgenommen werden. Statt den Bildungsgipfel-Dreikampf vertagen, verschleppen, vertrösten (Der Spiegel) zu perfektionieren müssen Bund und Länder endlich verbindliche Vereinbarungen für zusätzliche Bildungsausgaben treffen. Um dem sich bereits deutlich abzeichnenden Mangel an pädagogischem Fachpersonal zu begegnen, fordern wir ein gemeinsames Sonderprogramm für die LehrerInnen- und ErzieherInnenbildung von Bund und Ländern.
2. Das Beste für die Schwächsten statt Eliteförderung: Die Bildungspolitik muss ihren Fokus endlich wieder auf diejenigen richten, die am dringendsten Unterstützung brauchen. Benachteiligte Jugendliche sind auf einen flächendeckenden Ausbau von KiTa’s, auf gut ausgestattete Ganztagsschulen, auf ein auswahlfähiges Ausbildungsplatzangebot und auf Unterstützungsangebote der Arbeitsagenturen wie der Jugendhilfe angewiesen. Hierzu muss der Bund die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. In der Bildung fehlt es vor allem an einer soliden Finanzierung öffentlicher und für alle zugänglicher Bildungsinstitutionen. Eine Privatisierung der Infrastruktur über Privatschulen, private Nachhilfe und Bildungsgutscheine lehnt DIE LINKE genauso ab wie eine Privatisierung der Kosten etwa durch Gebühren.
3. Branchenmindestlohn Weiterbildung durchsetzen: ver.di hat anlässlich der Abstimmung über den Haushalt 2011 gefordert, die Kürzungen in der Weiterbildung zurückzunehmen und den Branchenmindestlohn Weiterbildung für allgemeinverbindlich zu erklären. Die GEW sammelt für den Branchenmindestlohn seit Ende November online Unterschriften. Wir unterstützen diese Initiativen und rufen alle auf, den Aufruf zu unterzeichnen: www.gew.de/Weimarer_Aufruf.html
2. Das Bildungspaket – ein Perspektivenwechsel
Mit dem im Sommer erfundenen Bildungspaket für Kinder aus Hartz IV-Familien soll soziale Benachteiligung beim Bildungszugang ausgeglichen und zudem dem der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts nach einem eigenen Rechtsanspruch von Kindern auf Teilhabe und Förderung nachgekommen werden. Das 700 Mio. € teure Programm kann aber diesem Anspruch gar nicht gerecht werden, es birgt im Gegenteil höchst bedenkliche Tendenzen. Die ständige Ergänzung des Programmes (nun für die Schülerbeförderung in der Sekundarstufe II) macht deutlich, dass es noch viele Defizite es gibt, die durch das Bildungspaket bisher noch gar nicht erfasst sind. Eine Ausstattung von Schulen, Vereinen, Verbänden und Kommunen mit den erforderlichen Mitteln, damit sie je nachBedarf und örtlichen Gegebenheiten Angebote kostenfrei zur Verfügung stellen können, wäre allemal hilfreicher.
Warum wir das Bildungspaket kritisieren:
1. Es handelt sich im Grunde um ein Gutscheinsystem, das auch an anderer Stelle (Kita-Betreuung in Hamburg, Chipkarte in Stuttgart) schon ausprobiert wurde. Gutscheinsysteme können aber die Empfängerinnen und Empfänger schnell stigmatisieren und durch bürokratische Ausreichungsformen oder wenn die Guthabenhöhe unzureichend ist zu Diskriminierung führen, der sie ja eigentlich entgegenwirken sollten. Die meisten Bestandteile des Bildungspaketes sollen als Sachleistung ausgereicht werden, was die Eltern der betroffenen Kinder unter Generalverdacht stellt, sie würden die finanziellen Mittel nicht an ihre Kinder weiterreichen. Davon ausgenommen ist das Schulbasispaket, das es jetzt schon gibt, das aber künftig in zwei Raten ausgezahlt wird.
2. Die Verwaltung der Mittel soll durch die Jobcenter erfolgen, die dazu weder Kompetenz noch Kapazitäten haben. Darum sollen neuerdings die Kommunen als Bewilligungsinstanz in die Pflicht genommen werden. Das ist zwar besser als eine Antragstellung beim Jobcenter, ändert aber nichts am grundlegenden Konstruktionsfehler des Paketes. Außerdem ist das Gesetz bis heute nicht auf dem Tisch, der Anspruch soll aber bereits ab 1.1.2011 gewährt werden. Zu dem Perspektivenwechsel in der Bildungspolitik gehört, dass Bildungsteilhabe künftig auch für Kinder zunehmend über die Arbeits- bzw. Sozialverwaltung abgesichert werden soll, statt das Bildungssystem hinreichend auszufinanzieren.
3. So soll künftig für Kinder mit Lerndefiziten auf Antrag Nachhilfe finanziert werden. Damit aber wird privaten Anbietern von Nachhilfe mit Hilfe öffentlicher Mittel übertragen, was öffentlich finanzierte Schule wegen Unterfinanzierung nicht mehr leisten kann, oder aber, schlimmer, möglicherweise gar nicht mehr leisten soll. Der Staat entledigt sich damit immer mehr der Verantwortung der Sicherung eines gleichen Zugangs zu Bildung und des Nachteilsausgleiches durch die öffentliche Schule im Rahmen der Schulpflicht. Benachteiligung, insbesondere soziale Benachteiligung wird als naturgegeben hingenommen und zum persönlichen Risiko. Hinzu kommt, dass Anspruch auf private Nachhilfe nur haben soll, wer versetzungsgefährdet ist. Damit werden viele, die Nachhilfe benötigten, nicht in den Genuss zusätzlicher Angebote kommen. Wer „nur“ einen besseren Schulabschluss erreichen will und auch erreichen könnte, erhält keine finanzierte Nachhilfe. Zum Zweiten bleibt unklar, wie die Bedürftigkeit in Ländern bzw. Schulformen festgestellt wird, die auf Grund pädagogischer Konzepte auf Versetzung und Nichtversetzung verzichten und zum Dritten werden jene Länder und Schulen benachteiligt, bei denen Nachhilfe zur schulischen Arbeit gehört, die also Wert legen auf gleiche Teilhabechancen und Bildungszugänge durch öffentliche Schule.
4. Einen Zuschuss für ein warmes Mittagessen gibt es nur für Kinder in Ganztagsschulen und Kindertagesstätten. Dass auch Halbtagsschulen oft über die Mittagszeit hinausgehen und zusammen mit Zeiten der Schülerbeförderung, besonders in Flächenländern, gar kein Mittagessen zu Hause ermöglichen, ist nicht im Blick. Nicht im Blick sind auch jene Länder und Kommunen, die heute schon einen Zuschuss zum Mittagessen wie den hier geplanten leisten bzw. sogar weiter gehende Regelungen vor Ort vereinbart haben.
5. Für die Teilnahme an Kultur- und Freizeitangeboten außerhalb der Schule ist eine finanzielle Förderung von 120 € pro Jahr vorgesehen. Das mag eine Entlastung sein für die Teilhabe an Sportvereinen oder den Schwimmbadbesuch. Für das Erlernen eines Musikinstrumentes, das damit auch möglich werden soll, reicht das Geld nicht. Dafür allein wäre das Zwei- bis Vierfache erforderlich, ohne eine Instrumentenmiete, die noch dazu käme.
Das alles macht deutlich, dass die nicht sachgerechte Verlagerung von Bildungsverantwortung in den Aufgabenbereich des Arbeitsministeriums zu nicht sachgerechten Lösungen führt.
Schließlich kann das Bildungspaket zwar eine Entlastung für Harz-IV-Familien und für jene, die Kinderzuschlag erhalten bringen, es ist aber nichts vorgesehen für jene Familien, die mit ihrem Einkommen nur kurz über diesem Niveau liegen. Diese aber könnten dadurch, dass für sie das Paket nicht bereitgestellt wird, sogar schlechter gestellt werden. Ungeklärt ist auch, wie dieses Paket in Anwendung kommt für Kinder in ländlichen Regionen ohne eine entsprechende Infrastruktur, zumal Beförderungsleistungen nicht vorgesehen sind. Zudem sind die Vorschriften für die Ausreichung der Mittel bisher alles andere als transparent und insgesamt mit Sicherheit kostenintensiver, als wenn das Geld an die Eltern ausgezahlt würde.
3. Fragen des Bildungsföderalismus
Mit der Föderalismusreform II im Jahre 2006 hat der Bund die Zuständigkeit in Sachen Bildungspolitik fast vollständig an die Länder abgegeben. Wie sieht es im Einzelnen aus?
Zuständigkeit der Länder für Schule und Hochschule
Seit 2006 hat der Bund keinerlei Kompetenzen mehr im Bereich Schule. „Der Bund kann aber in Abstimmung mit den Ländern im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung Modell- und Pilotprojekte im Bildungsbereich durchführen oder fördern. Darüber hinaus kann der Bund den Ländern Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen gewähren, um eine gesamtwirtschaftliche Störung abzuwehren, unterschiedliche Wirtschaftskraft auszugleichen oder das Wirtschaftswachstum zu fördern. Indirekt kann der Bund über die Rahmengesetzgebung für die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens auf die Schulabschlüsse Einfluss nehmen.“ Diese Möglichkeiten sind jedoch sehr begrenzt. Dieses Verbot der Zusammenarbeit wird mit dem Begriff Kooperationsverbot bezeichnet.
Möglichkeit der Rahmengesetzgebung
Das Recht der Rahmengesetzgebung wurde für den Bereich Bildung abgeschafft. Auch im Bereich der Hochschulpolitik wurde die Rahmengesetzgebung außer Kraft gesetzt, sie ist nur für die Hochschulabschlüsse und die Hochschulzulassung möglich. Allerdings dürfen die Länder davon abweichen.
Berufliche Aus- und Weiterbildung
Für die duale berufliche Bildung gibt es noch eine Bundeszuständigkeit, die über das Berufsbildungsgesetz (BBiG) und die Handwerksordnung (HWO) gesetzlich geregelt ist. Sie gilt jedoch nur für den nicht-schulischen Teil der Ausbildung. Keine Bundeszuständigkeit gibt es derzeit für die zahlreichen regulären vollzeitschulischen beruflichen Bildungsgänge, die zu einem vollwertigen Berufsabschluss führen, wie die ErzieherInnenausbildung, die Ausbildung von KosmetikerInnen und die nichtmedizinischen Heilberufe. Hier gab es vor Jahren den Versuch, die Zuständigkeit für einige dieser Berufsbilder zum Bund zu ziehen, was die Einmündung der Ausbildungen in die Dualität erfordert hätte. Das aber ist wegen fehlender Praktikabilität bisher unterblieben.
Eine Bundeszuständigkeit gibt es nach wie vor in der beruflichen Weiterbildung. Hier liegen die Verantwortlichkeiten vor allem bei der Bundesagentur für Arbeit (vor allem Umschulungen) oder aber bei den Unternehmen selbst.
Allgemeine Weiterbildung
Für die allgemeine Weiterbildung (Erwachsenenbildung) sind wieder die Länder alleinige Gesetzgeber. Hierfür gibt es in der Mehrzahl der Länder entsprechende Erwachsenenbildungsgesetze und Bildungsurlaubsgesetze, die sich aber voneinander unterscheiden. Darüber hinaus wird die politische Bildung außerhalb des Verantwortungsbereiches der Bildungsministerien in Bund und Ländern über die Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung sowie zahlreiche Stiftungen und Vereine gesichert, für die es keinen Rechtsrahmen gibt. Gleiches gilt auch für Fragen der kulturellen und musischen Bildung.
Frühkindliche Bildung
Zum Weiteren gibt es nach wie vor eine Bundeszuständigkeit in der frühkindlichen Bildung, soweit es die Bereitstellung von Betreuungsangeboten im Rahmen des Rechtsanspruches geht. Darum hat das Land Nordrheinwestfalen jüngst erfolgreich das Konnexitätsprinzip eingeklagt. Mindestens als Grauzone muss man die Zuständigkeit für die Qualität und die Inhalte frühkindlicher Bildung bezeichnen. Dazu gibt es ein zwischen den Bundesländern vereinbartes Papier zu gemeinsamen Bildungsstandards, die in allen sechzehn Bundesländern durch eigene Programme untersetzt sind. Die Ausbildung des Personals für die Kinderbetreuung liegt in der alleinigen Verantwortung der Länder.
Besoldungsrecht
Aufgehoben wurde auch die Bundeszuständigkeit im Besoldungsrecht für Lehrerinnen und Lehrer, was zur Konkurrenz zwischen den Ländern geführt hat deren Höhepunkt die Abwerbungsversuche aus Baden-Württemberg über Plakatgroßflächen im ganzen Bundesgebiet vor etwa zwei Jahren darstellte. Das soll nun zwar durch eine Vereinbarung der Kultusministerkonferenz unterbunden werden, aber unter der Hand findet es weiter statt, vor allem bei LehramtsabsolventInnen, also mit dem Berufseinstieg.
Was sind die Folgen?
Folge der Föderalismusreform ist, dass der Bund Programme wie das Ganztagsschulprogramm heute nicht mehr mitfinanzieren darf und auch im Hochschulbau die gemeinsame Finanzierung abgeschafft ist. Gemeinsame Finanzierungen sind darum nur über Umwege und die Erfindung von besonderen außerschulischen Bildungsprogrammen oder auch wie die Hochschulpakte, die auf besondere Notlagen reagieren bzw. außerhalb des staatlichen Bildungswesens stattfinden (Bildungslotsen, Bildungslandschaften, Bildungspaket) möglich.
Die fehlende Möglichkeit des Bundes, Bildungsaufgaben, insbesondere im Schul- und Hochschulbereich zu finanzieren, führt zunehmend in den Parteien, Gewerkschaften, Vereinen, Verbänden aber auch bei Betroffenen und bei den Bildungsstreikenden zu wachsender Unzufriedenheit. Deshalb hat die Bundestagsfraktion der LINKEN im März dieses Jahres einen Antrag zur Aufhebung des Kooperationsverbotes in der Bildung in den Bundestag eingebracht hat. Dem sind inzwischen alle Oppositionsfraktionen im Bundestag gefolgt. Auch in den Koalitionsfraktionen, bis hin zur Ministerin, wird mehr oder weniger offen das Kooperationsverbot in Frage gestellt, selbst in den Ländern gibt es Bewegung, aber noch nicht in allen. Der Landtag von Sachsen-Anhalt hat vor kurzem die Aufhebung des Kooperationsverbotes gefordert und ist einem veränderten Antrag der LINKEN gefolgt.
Warum wird das Kooperationsverbot nicht einfach abgeschafft?
Dass dieser wachsenden Einsicht die zur Abschaffung des Kooperationsverbotes notwendige Grundgesetzänderung (noch) nicht folgt, hat Gründe die nicht zuerst in der Finanzierung liegen. Vielmehr wird in den Ländern befürchtet, dass mit einer Aufhebung des Kooperationsverbotes auch die Debatten um eine die Einheitlichkeit im Bildungssystem, also zu einheitlichen Schulstrukturen, aufleben und weitere Eingriffe in die Länderhoheit erfolgen könnten. Dafür gibt es zwei Gründe:
1. Damit würde zunehmend die Rechtfertigung entfallen, Länder mit eigener Gesetzgebungskompetenz zu haben und der Föderalismus stünde über kurz oder lang ganz infrage. Zwar ist die föderale Struktur im Grundgesetz festgelegt, aber ohne eigene alleinige Gesetzgebungskompetenz (die gibt es nur im Bereich der Bildung und der inneren Sicherheit) liefe diese Struktur leer und stünde möglicherweise zur Disposition.
2. Die heftigste Debatte spinnt sich derzeit – wieder einmal – um das allgemeinbildende Schulsystem. Nicht nur bei der LINKEN, auch in anderen gesellschaftlichen Gruppen wird zunehmend die Forderung nach mehr Einheitlichkeit laut. Angesichts der Unterschiedlichkeit der Entwicklungen in den Ländern in den vergangenen dreißig bis vierzig Jahren gibt es dafür dort aber keine Bereitschaft.
Dazu einige Anmerkungen aus linker Sicht:
In Ost und zunehmend auch in West mehren sich Forderungen nach mehr Einheitlichkeit im Bildungssystem. Viele erhoffen ich von einer „Wieder“herstellung der Bundeszuständigkeit dass das Chaos in der Bildungslandschaft beendet und Vergleichbarkeit, auch angesichts erforderlicher beruflicher Mobilität, für Eltern und Lernende gesichert wird. Fragen der Anerkennung von Abschlüssen und ungebrochener Bildungswege hängen scheinbar und auch tatsächlich daran. Diese Forderungen und Nöte muss man ernst nehmen.
Es ist jedoch zu bedenken, dass auch vor der Föderalismusreform nicht alles gut war, nicht einmal wesentlich besser: alle Grundübel des deutschen Bildungssystems, der fehlenden Vergleichbarkeit und der sozialen Ausgrenzung gab es da auch. Es gab nämlich nie eine inhaltliche Verantwortung des Bundes in der allgemeinen Bildung, eine finanzielle nur teilweise. Zum anderen gibt es sie in der beruflichen Bildung bis heute, sie soll dort auch nicht abgeschafft werden.
Bildungsföderalismus in der Debatte der LINKEN:
Über den Bildungsföderalismus bzw. seine Ausgestaltung gibt es in der LINKEN erhebliche Dissense. Von einigen wird die Meinung vertreten, dass mehr Kompetenzen des Bundes in der Bildungspolitik den Widerstand gegen bildungspolitische Missstände besser bündeln könnte und sich linke Forderungen dann leichter durchsetzen ließen. Diese Auffassung resultiert vor allem im Osten aus den Erfahrungen in der Vergangenheit, sie wird aber auch im Westen in letzter Zeit stärker.
Insbesondere die LandespolitikerInnen sehen sich mit einer oberflächlichen Forderung nach gleichen Lehrplänen in ihrem politischen Gestaltungsspielraum unzulässig eingeschränkt, zumal derzeit in vielen Ländern unterschiedliche Reformbestrebungen im Gange sind, für die es (noch) keine Mehrheit auf Bundesebene gäbe, weil die Länder ein Veto einlegen würden. Insbesondere Gemeinschaftsschulprojekte wären bei ausschließlicher Bundeszuständigkeit kaum durchzusetzen. Vielmehr wird befürchtet, dass Mehrheitsentscheidungen auf Bundesebene Reformbewegungen in der Bildungspolitik, die heute in den Ländern stattfinden, weit zurück werfen würden. Für ein Volksbegehren wie das in Hamburg „Für längeres gemeinsames Lernen“ hätte es dann keine Grundlage gegeben.
Die Meinungen in der Partei reichen darum von einer ausschließlichen Bundeszuständigkeit in der Bildung über den Wunsch nach einer heute nicht möglichen Rahmengesetzgebung oder aber staatsvertraglicher Regelungen wie beim Rundfunk bis zum völligen Verzicht auf inhaltliche oder strukturelle Vorgaben. Eine Einigung wird auch in der LINKEN noch weitere Debatten erfordern. Wir sind dazu im Gespräch.
Einig ist sich DIE LINKE in ihrer Ablehnung des Wettbewerbsföderalismus unter dessen Vorzeichen die Föderalismusreform stand. Wir wollen nicht, dass einzelne Bundesländer oder Bildungseinrichtungen im Bund-Länder-Wettbewerb abgehängt werden. Unser Ziel ist die Durchsetzung des Rechts auf Bildung für alle. Zentral bleibt vor diesem Hintergrund die Aufhebung des Kooperationsverbotes. Es darf kein Schwarze Peter Spiel zwischen Bund und Ländern in der Frage der Bildungsfinanzierung geben. Stattdessen muss eine ausreichende öffentliche Finanzierung auch über die Gestaltung der Bund-Länder-Verflechtungen im Bildungsbereich befördert anstatt behindert werden.
Einig sind wir uns auch in der Forderung nach mehr Einheitlichkeit durch längeres gemeinsames Lernen, wobei diese Einheitlichkeit Vielfalt und unterschiedliche Möglichkeiten vor Ort implizieren muss, nicht aber die Zuweisung dieser Möglichkeiten nach Nützlichkeitsaspekten.
Einheitlichkeit versus Vielfalt
In der Bildungsdebatte bei Verbänden und Gewerkschaften, aber auch bei BildungspolitikerInnen der LINKEN, der Grünen und der SPD – auch mit Blick auf die PISA-„Sieger“länder - ist bei Vielen die Überzeugung gewachsen, dass eine Forderung nach gleichen Lehrplänen und Prüfungen in der allgemeinbildenden Schule nicht (mehr) zeitgemäß sei.
Begründung:
1. Soziale Benachteiligung ist durch Einheitlichkeit nicht zu überwinden. Ein einheitliches Schulwesen muss noch nicht gut sein. Hätte man überall das bayrische dreigliedrige Schulwesen, wäre das auch ein einheitliches, man würde die Bildungsmisere aber nicht überwinden. Einheitlich wäre es dann, gut aber noch lange nicht. Die eigentlichen Hemmnisse liegen heute eher in der großen sozialen Ausgrenzung und Benachteiligung, weniger in unterschiedlichen Schulformen, so verwirrend sie scheinen mögen.
2. Die Kultusministerkonferenz regelt fast alles, aber es wird fast nichts gut. Einheitlichkeit haben wir eigentlich mehr als gut ist, sie wirkt aber als Korsett, nicht als Rahmen für Vergleichbarkeit: Zahlreiche Festlegungen der Länder und der Kultusministerkonferenz, die über die Jahre entstanden sind, werden heute zur Voraussetzung von Einstufungen und Anerkennungen gemacht, die eigentlich unnötig sind. Darüber hinaus wurden in der Kultusministerkonferenz in den letzten zwei Jahrzehnten (nach den ersten PISA-Studien) zahlreiche Vereinbarungen von allen Ländern getroffen, die in alle Länder in die Pflicht nehmen. Inzwischen gibt es für (fast) alle Fächer und Abschlussformen einheitliche Bildungsstandards, die in allen Ländern zu implementieren sind. Weiter gibt es gemeinsame Vereinbarungen zur gymnasialen Oberstufe, seit langem schon zur Rahmenstundentafel und seit 1995 zur Schulzeitlänge bis zum Abitur, auch wenn das vor allem aus westbundesdeutscher Sicht (zu Recht) unter Kritik steht. Alle diese Vereinbarungen basieren auf der bis heute nicht außer Kraft gesetzten Festlegung des Hamburger Abkommens (von 1964), nach dem das Schulsystem in Deutschland aus Hauptschule, Realschule und Gymnasium besteht und die Schulzeit bis zum Abitur dreizehn Jahre. Auch die derzeit in vielen Ländern begonnene Zusammenlegung von Haupt- und Realschulen ändert an diesem Fakt nichts.
3. Erforderlich ist eine andere Kultur des Lehrens und Lernens und inklusive Bildung. Selbst in Schulen mit identischen Lehrplänen und gleicher Schulform wird unterschiedlich und Unterschiedliches oder auch Gleiches zu unterschiedlichen Zeitpunkten gelehrt. Das hat einfach damit zu tun, dass Lernen und Lehren besonders stark von individuellen Gegebenheiten, Ansprüchen und Erwartungshaltungen der Akteure abhängt. Die notwendige Einheitlichkeit beschränkt sich eigentlich auf einen vergleichsweise kleinen Umfang von Bildungsinhalten (zum Beispiel das Beherrschen der Kulturtechniken, Orientierungswissen und Lernkompetenzen). Eine Pädagogik, die vom Kinde ausgeht, sollte die Unterschiede in den Bildungsinhalten, des behandelten Unterrichtsstoffs, überwinden können, aber eine solche Pädagogik haben wir nicht überall, am wenigsten in den Gymnasien. Es gibt dafür auch leider nicht überall die erforderlichen Rahmenbedingungen. Dazu gehört mehr pädagogisches Fachpersonal, kleinere Lerngruppen und eine bessere Schulausstattung. Das alles muss aber finanziert werden. Eine Pädagogik, die vom Kinde ausgeht, muss den individuellen Lernstand beachten und nicht zur Voraussetzung machen, was gar nicht gelernt werden konnte. Dem entspricht auch das Prinzip der inklusiven Bildung, zu dem sich die Bundesrepublik nun bekannt hat, das aber noch lange nicht in der Schulwirklichkeit angekommen ist.
4. Wer Vielfalt will, muss Vielfalt zulassen. In einer Gesellschaft, die immer vielfältiger wird, kann Schule nicht immer mehr normiert werden. Darum sollten wir auch nicht für zentrale Prüfungen sein, wie es derzeit mit dem Zentralabitur im Gespräch ist. Unser Gemeinschaftsschulkonzept ist inklusiv, schließt individuelle Förderung und Neigungsangebote ein, sie normiert nicht! Mehr Zentralismus und Vereinheitlichung von Schule auf für alle festgelegte Stoffe und Lerngegenstände schränkt Bildung eher ein und führt am Ende zur Entwertung öffentlicher Bildungsangebote und zu mehr Privatisierung, weil öffentliche Schule im Rahmen der Schulpflicht nicht mehr ausreichend bietet, was junge Menschen lernen wollen. Das wirkt ungünstig auf die Lernmotivation von Schülerinnen und Schülern und führt dazu, dass die „eigentlich“ interessanten Lerngegenstände außerhalb von Schule gesucht werden. Dort allerdings sind sie noch stärker von privater Finanzierung abhängig und also nicht für jede und jeden zugänglich. Außerdem konterkariert das unser linkes Bildungskonzept, das von gleichem Zugang und gleicher Teilhabemöglichkeit ausgeht, zu einem breiten Bildungsangebot, aus dem eine individuell begründete Auswahl möglich ist. Selbst der heute gängigen Kritik von einer Schule, die nicht mehr zur Ausbildungsreife führt, ist so nicht zu begegnen. Unsere Kritik richtet sich nicht gegen Vielfalt, sondern gegen die Zuweisung (und damit Ausgrenzung) von Bildungsteilhabe unter dem Aspekt späterer Vermarktbarkeit.
4. Aber es gibt schulpolitische Bewegung in den Ländern
Mit der Abnahme der Akzeptanz der Hauptschulbildung und der wachsenden Schwierigkeiten, mit einem Hauptschulabschluss einen attraktiven Ausbildungsplatz zu finden und mit der prognostizierten Abnahme der SchülerInnenzahlen, die in den ersten Ländern (West) bereits eingesetzt hat, und in Reaktion auf die verheerenden Untersuchungsergebnisse internationaler Vergleichsstudien ist in der Mehrzahl der Länder die Einsicht gewachsen, dass der Entwicklung auch schulstrukturelle etwas entgegengesetzt werden muss. Diese Einsicht wird flankiert von Forderungen aus dem Bereich der Gewerkschaften, aber auch der Arbeitgeberverbände und der Bildung selbst. Kürzlich haben Schulleiter an Gymnasien gefordert, künftig neben dem Gymnasium nur noch eine Oberschule zu führen. Auch dies bedeutet zumindest eine Abkehr von der Hauptschule.
Ähnliche Konstrukte werden derzeit in mehreren Ländern in Angriff genommen und als Zweigliedrigkeit unter dem Etikett des längeren gemeinsamen Lernens verkauft. Daneben gibt es eine immer breiter werdende Bewegung hin zu Gemeinschaftsschulen, wie sie in Schleswig-Holstein und Berlin begonnen worden sind und nun auch in Thüringen entstehen sollen. In Niedersachsen ist eine breite Bewegung für mehr Gesamtschulen entstanden. Auch der Versuch in Hamburg ein längeres gemeinsames lernen bis zur Klasse sechs möglich zu machen, der durch einen Volksentscheid gekippt worden ist, muss in diesem Zusammenhang genannt werden.
Diese Entwicklungen sind jedoch ambivalent und bedürfen einer differenzierten Wertung.
1. Eine Bewegung hin zu längerem gemeinsamen Lernen ist Ausdruck der wachsenden Einsicht, dass die Gliederung des Schulsystems nicht in der Lage ist, die Bildungsprobleme der Gesellschaft dauerhaft zu lösen und sozialen Nachteilsausgleich sowie gleiche Bildungsteilhabe wirklich zu garantieren. Nicht zuletzt mit der Unterzeichnung der UNO-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat die Debatte in Deutschland befördert, auch wenn Inklusion absichtsvoll in der deutschen Fassung mit Integration übersetzt worden ist.
Längeres gemeinsames Lernen bedeutet, dass alle Kinder und Jugendlichen bis zum Schulabschluss in einer Schule gemeinsam mit und voneinander lernen. Wir benutzen (mit anderen) dafür den Begriff „Gemeinschaftsschule“. Gemeinschaftsschulen stehen nicht in Konkurrenz zu Gesamtschulen. das trägt auch die Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschulen.
2. Neben dieser Entwicklung gibt es Bemühungen, wie von den Gymnasiallehrern gefordert, Haupt- und Realschulen in einer Schulform zusammenzuführen. Auch diese Entwicklung wird gern unter dem Label Länger gemeinsam lernen verkauft.
Solche Schulstrukturen – die Förderschulen in der Regel nicht umfassen – sind seit etwa 20 Jahren in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zu finden, aber auch im Saarland und in Bremen. In den letzten Jahren ist auch in Brandenburg (zu Lasten der Gesamtschule), in Mecklenburg-Vorpommern und jüngst in Berlin (neben der Gemeinschaftsschule) ein solcher Weg gegangen worden. In mehreren Bundesländern gibt es ebenfalls Schulformen, die Haupt- und Realschule zusammenführen, so in Hamburg (Haupt-und Realschule) und in Rheinland-Pfalz (Realschule plus). Nun zeichnet sich ab, dass dieses System in absehbarer Zeit weitgehend flächendeckend installiert wird.
Das sogenannte Zwei-Säulen-Modell oder die Zweigliedrigkeit wird aber in der Regel mit der Hoffnung verbunden, das Gymnasium als besondere Schulform zu erhalten. Einem Zwei-Säulen-Modell, dass nur auf der Zusammenlegung von Haupt- und Realschule beruht, stehen wir kritisch gegenüber:
Die Zusammenlegung von Haupt- und Realschulen kann in soweit ein kleiner Vorteil sein, als die beiden Bildungsgänge künftig unter einem Dach unterrichtet werden und der Übergang zwischen diesen beiden Bildungsgängen womöglich erleichtert wird. Der Zugang zum Gymnasium bleibt allerdings nach wie vor aus der zweiten Säule gering. Beide Bildungsgänge werden auf dem Papier als gleichwertig erscheinen und von den Verfechtern der Gliederung auch so eingeordnet werden, sie können es in der Praxis aber nicht sein. Das merken Eltern und SchülerInnen sehr schnell und die Anwahl des Gymnasiums ab Klasse 5 oder 7 (bei Grundschuldauer bis Klasse 6) wird weiter anwachsen. Auch in den Ländern, in denen es seit längerem eine solche gemeinsame Schulform gibt erfolgt das so. Damit aber wird die verbleibende zweite Säule zur Restschule mit verengtem Ausgang in Richtung Abitur. Der Beitrag des „Zwei-Säulen-Modells“ zu längerer gemeinsamer Schulzeit ist also gering, er kann aber dazu führen, dass die Debatte um „Eine Schule für alle“ und die Einführung von Gemeinschaftsschulen für längere Zeit auf Eis gelegt wird.
Dennoch ist uns bewusst, dass angesichts der Mehrheitsverhältnisse in den Ländern und angesichts schulpolitischer Entwicklungen in der Vergangenheit entweder kein anderer Weg mehrheitsfähig ist oder aber der Weg hin zur Gemeinschaftsschule aus einem bestehenden Zwei-Säulen-Modell heraus entwickelt werden muss. Das kann auch darum nötig sein, weil ein anderer Weg vielleicht zwar eine parlamentarische Mehrheit, aber keine gesellschaftliche Akzeptanz finden würde.
Darum ist die Einrichtung solcher Schulformen aus linker Sicht mindestens mit bestimmten Bedingungen zu verknüpfen. Dazu gehören u. a.:
1. Die freie Anwahl der weiterführenden Schule,
2. die Pflicht, jedes Kind umfassend zu fördern. Eine „Abschulung“ in die nichtgymnasiale Schulform muss unterbleiben.
3. Beide Schulformen müssen gleiche Abschlüsse der Sekundarstufe I anbieten und der Übergang zur gymnasialen Oberstufe erfolgt bei entsprechenden Leistungen am Ende der 10. Klasse direkt in die gymnasiale Oberstufe, bzw. die Klasse 11 des Gymnasiums.
4. Die Ziele der Bildungsgänge in der Sekundarstufe I werden darauf ausgerichtet, dass alle Schülerinnen und Schüler möglichst mindestens einen mittleren Schulabschluss erwerben können.
5. An allen Schulen, auch an den Gymnasien, muss es eine innere Schulreform, eine neue Kultur des Lehrens und Lernens geben. Die Inhalte der Lehrpläne und Rahmenrichtlinien für die Fächer sollen für beide Schulformen angeglichen werden.
Diese Bedingungen werden zum Beispiel in Berlin gestellt und auch das Schulkonzept der LINKEN in Sachsen-Anhalt baut darauf auf, geht aber noch weiter. Beiden ist gemeinsam, dass Ziel dieses Prozesses die Entwicklung von Gemeinschaftsschulen steht als Schule für alle Kinder steht. Darum wird es erforderlich sein, bildungspolitischen Entwicklungen in den Ländern nicht nach Überschriften oder Schlagzeilen zu beurteilen, sondern differenziert zu beurteilen.
5. Entwicklungen im Bereich der Studienfinanzierung
In kaum einem anderen Themenfeld wurde die unsoziale Bildungspolitik der schwarz-gelben Bundesregierung in den letzten Monaten so offensichtlich, wie bei den Debatten um die Reform der Studienfinanzierung. Konkret ging es hier um zwei Vorhaben: zum einen um die Erhöhung der Bedarfssätze und Freibeträge im Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG); zum anderen um die Implementierung des von Schwarz-Gelb im Koalitionsvertrag vorgesehenen Nationalen Stipendienprogramms.
Zu 1: Das BAföG ist eine Sozialleistung, die sich im Regelfall elternabhängig an bedürftige Studierende wendet, um ihnen ein Studium zu ermöglichen. Es existiert mittlerweile seit über 30 Jahren. Anders als sein Vorgänger – das Honnefer Modell – gibt es im BAföG keine Leistungskomponente; ausschlaggebend ist allein die Bedürftigkeit. Aktuell wird das BAföG zur Hälfte als Darlehen ausgezahlt, wobei die maximale Schuldenhöhe aufgrund des BAföG am Ende des Studiums auf 10.000 Euro gedeckelt ist. In der Geschichte des BAföG gab es Zeiten, in denen die Leistung ein Vollzuschuss war; ebenso wie Zeiten in denen sie als Volldarlehen ausgezahlt wurde. Mittels einer Analyse der Zugangszahlen an die Hochschulen in diesen Phasen, lässt sich belegen, dass Studieninteressierte aus bildungsfernen Schichten der Weg an die Hochschule umso einfacher fällt, je weniger sie am Ende mit Schulden konfrontiert sind. Das BAföG genießt gesellschaftlich große Zustimmung. Als die jetzige Bundesbildungsministerin Annette Schavan im Wahlkampf 2005 die Abschaffung des BAföG forderte, stieß sie damit auf breiten Widerstand.
Das größte Problem ist aktuell somit nicht die Abschaffung, sondern die schleichende Aushöhlung des BAföG. Spätestens seit der zweiten Legislatur von Rot-Grün hinkt die Erhöhung der Bedarfssätze und Freibeträge hinter den steigenden Lebenshaltungskosten her. Folge ist, dass das BAföG weder bedarfsdeckend ist, noch dass der EmpfängerInnenkreis ausreichend ausgeweitet wird. Anders als beim Nationalen Stipendienprogramm kam auch die jetzige BaföG-Reform nur sehr schleppend auf den Weg: nach dem erstmaligen Scheitern im Bundesrat, bedurfte es mehrerer Runden im Vermittlungsausschuss. Hintergrund der Bund-Länder-Debatten ist, dass das BAföG nicht allein vom Bund, sondern auch mit einem Landesanteil finanziert wird.
Zu 2: Das Nationale Stipendienprogramm greift die vielfältigen Forderungen nach einer elternunabhängigen Studienfinanzierung auf, indem es unabhängig vom Einkommen der Eltern Stipendien in Höhe von 300 Euro/ Monat zur Verfügung stellt. Diese Stipendien werden von privaten Geldgebern und aus Mitteln des Bundes finanziert. Zielgruppe sind laut dem BMBF „begabte und leistungsstarke Studierende“. An diesen Maßgaben wird das Problem dieses Programms deutlich: Es ist zum einen durch die Beteiligung von Privaten ein Einfallstor für die Privatisierung der Studienfinanzierung und zum anderen ein Schritt hin zur Aufgabe des Rechtsanspruchs auf Studienfinanzierung für Bedürftige. Stattdessen wird das „Leistungsprinzip“ wieder eingeführt. Alle bisherigen Erfahrungen mit individuellen Auswahlverfahren zeigen, dass auf diesem Weg allen voran Studierende aus bildungsnahen Elternhäusern in den Genuss der Stipendien kommen werden. Studierende aus bildungsfernen Elternhäusern werden sich voraussichtlich zum einen deutlich weniger bewerben; zum anderen verfügen sie in der Regel nicht über das notwendige kulturelle Kapital und den damit in Verbindung stehenden akademischen Habitus um in Auswahlgesprächen erfolgreich zu sein.
Mit den nun als „Deutschlandstipendien“ betitelten Programm versucht die Bundesregierung gegen alle Widerstände einen Paradigmenwechsel in der Studienfinanzierung durchzusetzen. So war sie anders als bei der BAföG-Erhöhung bei diesem Programm bereit, den alleinigen Anteil der öffentlichen Beteiligung daran zu tragen. Zudem sind die privaten Anteile steuerlich absetzbar und sind somit ebenfalls öffentlich subventioniert. Da das Programm trotz alledem droht, zu einem Rohrkrepierer zu werden, stellt die Bundesregierung nun sogar Mittel für Schulungen zur Verfügung, die sich an Verantwortliche in den Hochschulverwaltungen richten. Ziel dieser Schulungen ist es, Möglichkeiten einer erfolgreichen Einwerbung privater Mittel zu erlernen.
Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus dieser Ausgangslage für DIE LINKE ziehen?
1. DIE LINKE kämpft für die soziale Öffnung der Hochschulen. Eine soziale Studienfinanzierung kann hierfür einen wesentlichen Beitrag leisten. Die Forderung nach einer bedarfsdeckenden individuellen Studienfinanzierung und der Ablehnung jeglicher Gebühren beim Hochschulzugang sind für uns dabei zwei Seiten einer Medaille.
2. Unser vorrangiges Ziel in den aktuellen Debatten um die individuelle Studienfinanzierung ist es, das BAföG zu erhalten und auszuweiten. Dazu ist es unter anderem notwendig, dass die Bedarfssätze und Freibeträge automatisch an die steigenden Lebenshaltungskosten gekoppelt werden, um ein Hinterherhinken und damit die schleichende Aushöhlung des BAföG zu verhindern.
3. Um gerade Studierenden aus bildungsfernen Schichten einen Zugang an die Hochschule zu ermöglichen, setzt sich DIE LINKE für einen Vollzuschuss im BAföG und damit die Streichung des Darlehensteil ein. Realisiert werden kann dies durch die schrittweise Senkung der Verschuldungsdeckelung. In den aktuellen Debatten ist es nicht nur beim Thema Studiengebühren, sondern auch beim Thema der individuellen Studienfinanzierung immer wieder zu skandalisieren, dass Studierende aus reichen Elternhäusern unbelastet von Schulden in ihr Berufsleben starten können, während Studierende aus einkommensschwachen Elternhäusern vor einem Schuldenberg stehen.
4. DIE LINKE hält längerfristig am Ziel einer elternunabhängigen Studienfinanzierung fest. Denn Studierende sind Erwachsene, die eigenständig über ihr Studium entscheiden sollen. Wir stehen jedoch klar gegen Versuche, über die Forderung nach Elternunabhängigkeit den Weg hin zu einer unsozialen und privatisierten Studienfinanzierung zu öffnen, wie dies aktuell über das Nationale Stipendienprogramm passiert. Auch Forderungen nach einem „Körbe-Modell“, bei denen ein Teil bisherige Elternleistungen zusammengefasst und als Zuschuss an jeden Student/ Studentin ausgezahlt wird, müssen kritisch gesehen werden. Zur Abgrenzung von solchen und ähnlichen Forderungen aus den anderen Parteien (insbesondere FDP und Grüne) sowie von den Arbeitgebern, setzt DIE LINKE stattdessen am Instrument der Freibeträge im BAföG an, um zu einer elternunabhängigen Studienfinanzierung zu gelangen: Jede Erhöhung der Freibeträge im BAföG, weitet den Kreis der Förderungsberechtigten weiter aus. Schritt für Schritt wird das BAföG somit für immer mehr Studierende zugänglich. Je höher die Freibeträge, desto irrelevanter wird die Bedarfsprüfung des Einkommens.