Ausbildungsqualität endlich verbessern!

Rosemarie HeinBundestagBerufliche Bildung

REDE IM BUNDESTAG | Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung und die Bundesministerin spricht von leichten Verbesserungen auf dem Ausbildungsmarkt für Jugendliche, obwohl sie wieder einen Rückgang bei der Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge konstatieren muss. Es scheint heute schon ein Erfolg zu sein, dass sich der Rückgang der Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge gegenüber dem Vorjahr verringert hat. Ich finde, das ist eine komische Logik.

(Beifall bei der LINKEN)

Gleichzeitig beschwört sie seit Monaten, die Attraktivität der dualen beruflichen Bildung zu erhöhen und ihre Gleichwertigkeit zur akademischen Bildung herzustellen, und bastelt Programme für Studienabbrecher, um sie für die duale Ausbildung zu begeistern.

(Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Was ist daran schlecht?)

- Das ist nicht schlecht; das stimmt. - Die Zunahme der Zahl der unbesetzten Lehrstellen erklärt sie wieder mit sogenannten Passungsproblemen.

Wir finden, dass die Probleme anders liegen. Die duale Berufsausbildung hat kein Attraktivitätsproblem, sondern es mangelt an guten Ausbildungsplätzen, und sie hat zumindest in einigen Branchen und Unternehmen ein Qualitätsproblem. Darum haben wir heute einen Antrag zur Verbesserung der Ausbildungsqualität vorgelegt.

(Beifall bei der LINKEN)

Doch zu einigen Zahlen: Die Bundesregierung, die Ministerin eben auch, spricht immer nur von den etwa 21 000 unversorgten Bewerberinnen und Bewerbern, also jenen Jugendlichen, die überhaupt kein Angebot erhalten haben. Ich finde, das ist Schönfärberei. Ich muss Ihnen eine andere Zahlenreihe anbieten: Tatsächlich haben sich mehr als 600 000 junge Menschen über die Bundesagentur für Arbeit um einen Ausbildungsplatz beworben. Es wurden aber nur 560 000 Stellen angeboten. Etwa 522 000 Ausbildungsverträge wurden tatsächlich abgeschlossen, einige davon sogar außerbetrieblich. Insgesamt haben sich also nicht nur 21 000, sondern 81 000 junge Menschen erfolglos um einen Ausbildungsplatz beworben; das ist schon eine andere Größenordnung. Ihr Wunsch, eine Berufsausbildung zu machen, ist immer noch da, auch wenn sie sich zurzeit in einer anderen Bildungsmaßnahme befinden. Es ist eine Katastrophe, dass insgesamt über eine Viertelmillion junge Menschen sich in schulischen Ausbildungsangeboten befinden - dort geparkt werden -, die zu keinem Berufsabschluss führen. Das darf man nicht schönreden!

(Beifall bei der LINKEN)

Ich finde, diese Warteschleifenpolitik des sogenannten Übergangssystems muss ein Ende haben, auch wenn es richtig ist, dass der eine oder die andere über diesen Weg einen höheren Schulabschluss erreichen kann. Das ist aber eine ganz andere Ebene. Das alles kann man auch anders machen.

Nachdem in den Jahren seit 2005 die Zahlen des Übergangssystems sehr deutlich geschrumpft sind, scheint es nun irgendwie nicht weiterzugehen. Wenn es gelänge, nur diejenigen der im Übergangssystem Verbliebenen, die über einen Schulabschluss verfügen, also über einen Haupt- oder einen Realschulabschluss ‑ das sind etwa drei Viertel der dort befindlichen jungen Menschen ‑, in eine vollwertige Berufsausbildung zu bringen, wäre ein Großteil des Problems gelöst. Dazu brauchte man allerdings etwa 190 000 zusätzliche Ausbildungsplätze.

Die zum Jahresende 2014 geschlossene Allianz für Aus- und Weiterbildung hat aber gerade einmal beschlossen, 20 000 Stellen mehr an die Bundesagentur für Arbeit zu melden. Man beachte die sprachliche Feinheit: zu melden, nicht zu schaffen! Frau Ministerin, Selbstverpflichtungen der Wirtschaft hatten wir in den letzten Jahren wahrlich genug. Sie haben nichts geholfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Darum ist das ewige Gejammer um die angeblich sinkende Attraktivität der beruflichen Bildung im Vergleich zur akademischen völlig überflüssig. Der Ball liegt bei den Unternehmen. Die müssen liefern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt tatsächlich etwa 37 000 unbesetzte Ausbildungsstellen, und zwar vornehmlich in den Wirtschaftsbereichen und kleinen Unternehmen, die eine sehr schwierige Ausbildungslage und Probleme mit der Ausbildungsqualität haben. Dort gibt es die höchste Zahl an Vertragsauflösungen. Das weist daraufhin, dass wir uns mehr um die Ausbildungsqualität kümmern müssen.

Das kann man auch sehr gut im Ausbildungsreport der DGB-Jugend nachlesen, aber leider nicht so ausführlich im Berufsbildungsbericht. Ich will nur ein paar Fakten daraus nennen: 34 Prozent der Jugendlichen haben keinen betrieblichen Ausbildungsplan, 11 Prozent sehen ihre Ausbilder selten oder nie, 36 Prozent müssen regelmäßig Überstunden machen, 13 Prozent der unter 18-Jährigen müssen mehr als 40 Stunden in der Woche arbeiten. Ich höre damit auf. Es gibt aber noch eine ganze Latte mehr solcher Befunde.

Zu den Branchen, in denen das am häufigsten beklagt wird, gehören genau jene, in denen die meisten offenen Stellen sind und die die höchste Zahl der Ausbildungsabbrüche haben.

(Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Was für eine Überraschung!)

Die Sicherung der Ausbildungsqualität ist eine der wichtigsten Aufgaben für die Erhöhung der Attraktivität beruflicher Bildung geworden. Das müssen wir über die quantitativen Dinge hinaus endlich auch annehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Darum haben wir in unserem Antrag Forderungen formuliert, die nach unserer Auffassung auf Bundes- und auf Landesebene dringend in Angriff genommen werden müssen. Wir haben uns diesmal auf die duale Berufsausbildung, also auf die nach dem Berufsbildungsgesetz und der Handwerksordnung, beschränkt, wissen aber, dass es auch in anderen Bereichen offene Fragen dazu gibt.

Die Ausbildungsqualität wird sich jedoch nur verbessern lassen, wenn auch die rechtlichen Rahmen dafür geschärft werden, und das kann und muss im Zuge einer Novellierung des Berufsbildungsgesetzes geschehen. Dazu gehört zum Beispiel auch die Aufwertung der Berufsschulbildung. Dual ist eine Ausbildung nämlich nur dann, wenn sie beide Seiten hat: die betriebliche und die schulische. Wenn das eine fehlt, ist sie nicht mehr dual.

Deswegen müssen schulische Lernleistungen tatsächlich auch bei den Kammerprüfungen berücksichtigt werden, müssen die rechtlichen Regelungen für den Besuch einer Berufsschule zwischen den Ländern ‑ sie sind nämlich sehr unterschiedlich ‑ vereinheitlicht werden und müssen die Rechte von Auszubildenden, die älter als 18 Jahre sind, neu gesetzlich geregelt werden. Der Berufsbildungsbericht muss künftig auch die Ausbildungsqualität berücksichtigen, und die Kompetenzen der Berufsbildungsausschüsse müssen gestärkt werden.

Wir gehen nicht davon aus, dass wir schon alle Forderungen aufgeschrieben haben. Für Ergänzungen und Erweiterungen sind wir sehr dankbar.

Ich möchte noch ganz kurz auf den Antrag der Koalition eingehen. Das Anliegen, die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung zu verbessern, teilen wir durchaus, aber Bekenntnisse werden hier nicht ausreichen. Lassen Sie mich drei Anmerkungen zu Ihrem Antrag machen. Erstens. Sie fordern von den Unternehmen, dass die Absolventen der beruflichen Bildung, wie staatlich geprüfte Techniker und Fachwirte, Entwicklungsmöglichkeiten erhalten, wie sie auch Hochschulabsolventen haben. Das ist richtig; denn sie haben ein Qualifikationsniveau, das dem Bachelor-Abschluss gleichgestellt ist. Aber, meine Damen und Herren, das gilt auch für Erzieherinnen und Erzieher. Warum ist es dann so schwer, ihre Arbeit im Bereich der frühkindlichen Bildung in den Kindertagesstätten genauso zu würdigen und sie entsprechend einzugruppieren?

(Beifall bei der LINKEN)

Senden Sie hier doch einmal ein solches Signal aus; das würde vielleicht sogar in den derzeitigen Tarifverhandlungen helfen. Ihre Arbeit ist nämlich nicht weniger wert als die eines Fachwirtes, Meisters oder Technikers.

Zweitens. Wir teilen die Forderung, Berufsschullehrer im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung stärker in die Lehrerausbildung einzubinden; wir fordern das auch. Die Lage an den Berufsschulen könnten wir allein schon dadurch verbessern, dass wir das Übergangssystem entsprechend abbauen. Dann könnten die freiwerdenden Lehrerstunden nämlich in den Berufsschulen genutzt werden.

Einen dritten, letzten Punkt möchte ich benennen und die Koalition auf einen kleinen Fehler hinweisen.

(Dagmar Ziegler (SPD): Aber nur einen kleinen!)

Unter Punkt 8 Ihrer Forderungen steht, die regionalen beruflichen Bildungszentren sollten zu Kompetenzzentren ausgebaut werden. Meine Damen und Herren von der Koalition, das dürfen Sie nicht; die Bundesregierung darf das nicht finanzieren, weil das Aufgabe der Länder ist. Ich frage mich ernsthaft, was Sie dazu bewogen hat, diesen Punkt aufzunehmen. Möglicherweise unterliegen Sie einem Irrtum, oder Sie wollen auf ganz listige Weise die Länderhoheit umgehen.

(Albert Rupprecht (CDU/CSU): Sie irren sich! Das ist vollkommen falsch, was Sie sagen! Die überbetrieblichen Ausbildungsstätten sind bei uns im Haushalt!)

- Es tut mir leid. Es geht nicht um überbetriebliche Ausbildungsstätten.

(Albert Rupprecht (CDU/CSU): Doch, darum geht es!)

Es geht um die regionalen Berufsbildungszentren.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Frau Dr. Hein.

Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE):

Googeln Sie einfach einmal! Dann finden Sie heraus, dass das Schulen sind. Das ist Länderhoheit. Tut mir leid. - Das Kooperationsverbot ist nicht unsere Erfindung. Heben Sie es auf, dann kriegen wir das auch hin.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)