Mammutaufgabe digitale Bildung gemeinsam angehen

Rosemarie HeinBundestagAllgemeine Bildung

REDE IM BUNDESTAG | Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nein, wir haben keinen eigenen Antrag zu diesem Tagesordnungspunkt dazu gelegt wie die Grünen. Ich weiß ja, dass die Grünen etwas von der Sache verstehen, aber was Sie da aufgeschrieben haben, hätten Sie auch bleiben lassen können. Der schadet zwar nicht, aber der nützt auch nichts. Die einfache Forderung, dass die Bundesregierung ihre Arbeit macht, finde ich wenig prickelnd. Und die Bezugnahme auf die Internet-Enquetekommission auch nicht. Wir haben aus gutem Grunde einen Bericht des Büros für Technikfolgeabschätzungen eingefordert. Zwar sind wir uns einig, dass die Forderungen und Empfehlungen der Internet-Enquete richtig sind, aber für deren Umsetzung entstehen doch noch ein paar Fragen.

Wenn der Bericht dieses Büros mit dem Titel „Bildung 4.0“ vorliegt, wollen wir auf dieser Grundlage konkretere Vorschläge machen. Manches liegt allerdings jetzt schon auf der Hand und es ist auch im Arbeitsbericht 122 des TAB-Büros aus dem Jahre 2007 schon gut nachzulesen.

Zum Beispiel die Frage: was kostet das alles. Lassen Sie mich bitte zitieren:

„Erst wenn die Förderung von Modellprojekten und Pilotvorhaben ausgelaufen ist, Garantien für die technische Ausstattung abgelaufen sind, Ersatzbeschaffungen anstehen oder der Support an externe Dienstleister vergeben wird, können die tatsächlich und dauerhaft auf die Schulträger zukommenden Kosten realistisch eingeschätzt werden.“ TAB-Arbeitsbericht 122, Zusammenfassung, S. 13 , Dez 2007

Und es geht auch darum, wie sich die Lernmittelkosten verändern. Dass die Bundesregierung Mittel für die Entwicklung offener Lernmittel eingestellt hat, ist ja löblich. Aber man muss sie auch aufs Tablet bekommen. Und bezahlt werden muss das auch. Wenn ein Buch runterfällt, hat es vielleicht ein Eselsohr. Wenn ein Tablet runterfällt, ist es möglicherweise kaputt. Die Kosten für die Ersatzbeschaffung sind deutlich höher. Darum bestehen wir mindestens auf Lernmittelfreiheit. Doch auch die muss jemand bezahlen. Das sind in der Regel die Länder.

Das kommt zu den offenen Fragen der technischen Ausstattung von Schulen, der Ausbildung von Lehrkräften, der Einstellung von Administratorinnen usw. alles noch dazu.

Und es geht auch um die Inhalte und die Veränderung der pädagogischen Arbeitsweise und der Vorbereitung der Schulen, der Eltern, der Öffentlichkeit darauf.

Künftig wird mehr als je das alte Sprichwort gelten: Man muss nicht alles wissen, man muss nur wissen wo es steht. Dann aber stellt sich gleich die Frage: Wie umgehen mit der Informationsflut? Wie auswählen, was wichtig ist? Wie kritische Distanz bewahren? Medienkompetenz nennt man das, und die ist längst zu einer Kulturtechnik geworden, die aber unterschiedlich gut beherrscht wird. Der selbstbewusste und verantwortungsbewusste Umgang mit persönlichen Daten im Netz, das Netzwerken überhaupt – alles erhält eine andere Dimension als noch vor zehn bis 15 Jahren. Ende offen.

Darum brauchen wir möglichst schnell so etwas wie fächerübergreifende – und vielleicht auch bildungsphasenübergreifende – Bildungsstandards für digitales Lernen und Medienkompetenz. Und Lernende warten nicht, bis die Schulen und die Bildungspolitik so weit sind. Professor Esser hat erst gestern im Ausschuss darauf hingewiesen, dass die Kompetenzen der Jugendlichen oft schon fortgeschrittener sind als die ihrer Lehrkräfte. Wir gehen also Gefahr, unaufhaltsam hinterherzulaufen.

Es erweist sich erneut als Problem, dass wir durch die strikte Trennung von Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern in unseren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt sind. Irgendwie wartet immer der eine auf den anderen. So passiert gar nichts oder Weniges und das nur verstreut oder es muss von zu wenigen Menschen bewältigt werden.

Auf dem Bildungsserver meines Bundeslandes Sachsen-Anhalt findet sich die Rubrik „Medienberatung“. Dort stehen für 14 Landkreise ganze zehn engagierte Beratungskräfte mit unglaublich interessanten Angeboten für Unterricht, Elternabend, Schulhomepage und Dienstberatung zur Verfügung und ich traue mich nicht, mir vorzustellen, dass alle knapp 900 allgemeinbildenden und 300 berufsbildenden Schulen ihr Herz für die digitale Bildung entdecken und auf die zehn Leute zwecks Fortbildung zugreifen…

Wir werden diese Mammutaufgabe nicht den Schulen allein, nicht den Kommunen allein und auch nicht den Ländern allein überlassen können. Und schon gar nicht dem Selbstlauf.

Nun hat die Koalition ein Instrument entdeckt, mit dem das Kooperationsverbot ein bisschen umgangen werden kann und die Länder genötigt werden sollen einheitlich und abgestimmt zu handeln: den Länderstaatsvertrag. Mal abgesehen davon, dass sich der Bund damit wieder aus der Verantwortung stiehlt, ist das ein Instrument, dass die Legislative nur zum Abnicken braucht, aber nicht in die Verantwortung nimmt. Insofern ist es alles andere als ein föderales Instrument. Es schränkt demokratische Meinungsbildung und Mitsprache ein. Es ist aber auch ein untaugliches Instrument, denn was soll es bewirken? Die Implementierung von noch nicht vereinbarten Bildungsstandards? Und wenn sie es nicht tun? Wer soll es wie sanktionieren? Die KMK hat keine Sanktionsmöglichkeiten als die gegenseitige Nichtanerkennung von Abschlüssen. Das aber passiert jetzt schon über die Maßen und völlig inakzeptabel. Und wie wollen Sie denn die technischen Voraussetzungen über einen Länderstaatsvertrag schaffen? Ich fürchte es ist ein stumpfes Schwert und riecht nach viel Bürokratie.

Also erneuern wir die Forderung nach der Aufhebung des Kooperationsverbotes und fordern, dass auch der Bund in einem gemeinsamen Bund-Länder-Programm richtig viel Geld in die Hand nimmt, um die dort gemeinsam zu vereinbarenden Standards für digitale Bildung auch zu finanzieren.

Weil in den Anträgen ansonsten wenig Falsches steht, uns aber viel Konkretes fehlt, werden wir uns der Stimme enthalten und kündigen hier schon einen eigenen, dann hoffentlich weiter gehenden Antrag an.