Meister-BAföG greift deutlich zu kurz

Rosemarie HeinBundestagBerufliche Bildung

REDE IM BUNDESTAG | Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kretschmer, Sie verzeihen und verstehen wahrscheinlich auch, dass ich anders anfange. Eine der größten Kritiken am bundesdeutschen Bildungssystem ist die hohe Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Situation der Lernenden. Dieser Befund zieht sich durch alle Bildungsstufen, von der Schule bis zur Weiterbildung. Wenn man dies beheben will, muss man sehr früh anfangen, also schon in der frühkindlichen Bildung. Man muss zudem Möglichkeiten des Bildungsaufstiegs nach der Schule verbessern.

Die Aufstiegsfortbildung, also das sogenannte Meister-BAföG, ist ein solcher Weg; darin sind wir uns einig. Die Bundesregierung will nun mit der vorgelegten Gesetzesnovelle die Bedingungen dafür verbessern. Das ist auch dringend nötig. Seit Jahren stagniert nämlich der Zulauf zu den Maßnahmen und Bildungsgängen an den Fachschulen, die damit meistens befasst sind. Etwa 172 000 Geförderte gab es im Jahr 2014. Das sind nur 0,2 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Das kann uns nicht zufriedenstellen, insbesondere nicht angesichts des hohen Bedarfs an qualifizierten Fachleuten, also an Meistern, Technikern und Betriebswirten zum Beispiel. Nun soll es also besser werden.

Ich möchte Ihnen anhand einiger Beispiele belegen, dass das Gesetz deutlich zu kurz greift, und - deshalb unser Antrag - auf ein Grundproblem aufmerksam machen. Zu den Berufsgruppen, die durch das Meister-BAföG ihre Ausbildung finanzieren können, gehören angehende Erzieherinnen und Erzieher. Das Meister-BAföG ist für diese Gruppe vor einigen Jahren geöffnet worden.

Vor etwa zwei Jahren schrieb ein junger Mann an den Petitionsausschuss, dass der Abschluss seiner Ausbildung gefährdet sei - er wollte Erzieher werden -, weil über das Meister-BAföG nur schulische Ausbildungen finanziert werden und vorgeschriebene Praktika außen vor blieben. Das Bundesministerium hat diese Aussage bestätigt, und im Ergebnis konnte dem Petenten nicht geholfen werden. Der Petitionsausschuss hielt das Anliegen aber für so wichtig, dass er zum Zwecke der Beachtung diese Petition an das BMBF, also an das Bildungsministerium, weitergeleitet hat, mit der Bitte, das bei der Novellierung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes zu beachten. Ich weiß nicht, auf welchem Schreibtisch das gelandet ist. Aber nach den neuen Gesetzesregeln wäre dem Petenten noch immer nicht geholfen, und das, obgleich der Gesetzentwurf den Eindruck erweckt, es wäre geschehen.

Im Regelfall sollen wie bisher Fortbildungsmaßnahmen gefördert werden, die 25 Unterrichtsstunden an mindestens vier Tagen der Woche umfassen. Künftig soll es aber auch genügen, wenn diese Bedingung - 25 Unterrichtsstunden an vier Tagen - in 70 Prozent der Wochen eines Maßnahmenabschnitts eingehalten wird. Damit sind die Erzieherinnen und Erzieher wieder außen vor; denn die KMK hat im Sommer 2015 in der Rahmenvereinbarung zu den Fachschulen festgelegt, dass in den Fachschulrichtungen Sozialpädagogik und Heilerziehungspflege mindestens ein Drittel der Stunden als „Praxis in sozialpädagogischen bzw. heilerziehungspflegerischen Tätigkeitsfeldern“ zu leisten ist. Wenn man zu 70 Prozent ein Drittel addiert, dann stellt man fest, dass mehr als 100 Prozent herauskommen. Das kann also irgendwie nicht stimmen. Also ist auch künftig nicht vorgesehen, ausbildungsimmanente Praktika zu fördern. Da frage ich mich schon, was eigentlich eine Petition an den Bundestag bewirkt, die noch dazu vom Petitionsausschuss als berechtigt weitergeleitet wurde. Offensichtlich nichts!

Ein zweites Problem. Eine der wichtigsten Veränderungen im Gesetz ist - Herr Kretschmer hat eben darüber gesprochen - die Möglichkeit, auch mit einem Bachelorabschluss eine geförderte Ausbildung nach dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz zu erhalten. Diese Regelung reagiert auf Sorgen in der Arbeitswelt, dass man nicht mehr genügend qualifizierte Fachkräfte hat, die zum Beispiel ein kleines Unternehmen gründen können. Da ist etwas dran. Die gegenläufige Förderung jedoch, also dass einem Meister, Techniker oder Betriebswirt ein Bachelorstudium gefördert wird, ist ausgeschlossen. Das ist auch nicht vorgesehen. Das Bundesausbildungsförderungsgesetz schließt genau eine solche Förderung aus. Ein vollverzinsliches Bankdarlehen ist unter ganz bestimmten Bedingungen noch möglich, mehr aber nicht. Das wurde mir in einer Antwort auf eine schriftliche Einzelfrage Ende des vergangenen Jahres bestätigt. In der Begründung wurde angeführt, dass der Abschluss einer Fachschule im deutschen Qualifikationsrahmen dem Bachelorabschluss gleichgesetzt sei und zwei gleichwertige Ausbildungen nicht gefördert würden.

Das gilt aber auch umgekehrt. Was will man denn nun? Hier wird mit zweierlei Maß gemessen. Das bedeutet nämlich zum Beispiel - ich bleibe wieder bei den Sozialberufen -, dass ein Studium mit dem Schwerpunkt „frühe Kindheit“ für staatlich anerkannte Erzieherinnen und Erzieher nicht gefördert werden kann; denn solch ein Studium wird fast ausschließlich als Bachelorstudium angeboten. Man kann also künftig problemlos von der Hochschule in die Fachschule wechseln, aber nicht umgekehrt. Durchlässigkeit in den Bildungswegen, auf die Sie immer so gerne verweisen, sieht anders aus.

Ich kann hier nicht auf die vielen Facetten und Konditionen der Förderungen eingehen. Wenn man sich einmal durch die ganzen Gesetze gewühlt hat, ist man wirr im Kopf. Das wird wahrscheinlich auch den Antragstellenden so gehen. Das brachte uns auf die Idee, dass die unterschiedlichen Fördersysteme doch einmal nebeneinander gelegt werden müssten, um Ausschlussgründe und Lücken zu finden.

Das haben wir Ende des Jahres getan, und wir haben umfangreiche Recherchen von verschiedenen zuständigen Stellen des Bundes erbeten. Vom BMBF und von der Bundesagentur für Arbeit haben wir sie auch erhalten, vom BMAS leider nicht; die haben uns sitzen lassen. Wir fordern nun in unserem Antrag, dass die unterschiedlichen Wege der Ausbildungsförderung von der Berufsausbildungsbeihilfe nach SGB III bis hin zu den beiden BAföG-Gesetzen harmonisiert und Förderlücken geschlossen werden.

Denn wir müssen doch auch zur Kenntnis nehmen, dass sich die Verläufe beruflicher Bildung und Weiterbildung in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verändert haben. Berufsbiografien verlaufen heute anders und manchmal nicht einfach so geradeaus. Das betrifft sowohl die Reihenfolge der beruflichen Bildungswege als auch das Einstiegsalter. Darum ist es auch nicht mehr zeitgemäß, Förderkonditionen so unterschiedlich zu gestalten.

Ich möchte noch ein Beispiel nennen: Wieso sind zum Beispiel Kinder unterschiedlich viel wert? Eine Studierende mit Kind, die nach BAföG gefördert wird, erhält künftig einen Kinderzuschlag von gerade einmal 130 Euro. Eine Meisterschülerin mit Kind soll immerhin 235 Euro erhalten. Ich kann mir den Unterschied nicht erklären. Die können zum Beispiel auch beide gleich alt sein. Unterschiedlich sind übrigens auch die Darlehenshöhe, die Rückzahlungskonditionen und anderes mehr. Ich verstehe nicht, warum.

Insgesamt - diese Grundkritik bringen wir auch hier wieder an - orientieren sich alle diese Gesetze nicht hinreichend an den konkreten Lebensbedingungen und Lebenshaltungskosten. So sind 250 Euro Wohnzuschuss in beiden Gesetzen keineswegs angemessen. Das ist schon heute so. Das wird - überlegen wir einmal, wie oft wir solche Gesetze ändern - in der Zukunft eine weitere Verschärfung bringen.

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks hat in seiner Stellungnahme wohlwollend signalisiert, dass das ein Schritt in die richtige Richtung sei, aber angemahnt, dass das eben nicht alles sein könne. Dieser letzten Feststellung, dass das nicht alles sein kann, möchten wir uns gerne anschließen.

Es geht uns um mehr Bildungsgerechtigkeit, um gut ausgebildete Fachkräfte, die wir in dieser Gesellschaft an allen Ecken und Enden dringend brauchen. Hier, an dieser Stelle - Kooperationsverbot hin oder her -, können wir Änderungen herbeiführen. Dafür brauchen wir die Länder nicht. Hier können wir gesetzliche Pflöcke einschlagen. Ich habe der Rede meines Vorgängers schon entnommen, dass es offensichtlich doch eine Änderung gibt, was die Darlehenshöhen bzw. die Zuschusshöhen betrifft, die noch nicht im Gesetz steht.

Ich freue mich, dass Sie das schon einmal der Regierung unterstellen, aber wir beschließen es. Da bin ich guter Hoffnung. Vielleicht können wir die eine oder andere Lücke, die sich in diesem Gesetz findet, auch noch mit schließen.

Dann hätten wir ein Stück des Weges geschafft, aber - es bleibt dabei - nicht den ganzen Weg.

Ich will noch eine Anmerkung zum Antrag der Grünen machen. Die Aufstiegsfortbildung ist ganz sicher ein Bereich der Weiterbildung. Dem Ansatz in Ihrem Antrag, dass man auch andere Bereiche der Weiterbildung in die Förderung einbeziehen und dies zusammenführen sollte, kann ich etwas abgewinnen. Ich würde das jetzt nicht mit „Bildungszeit PLUS“ bezeichnen; denn ich finde, das „PLUS“ besagt noch gar nichts. Aber über manche Forderungen in Ihrem Antrag können wir uns gerne unterhalten. Manche der dort dargestellten Probleme sehen wir auch.

Ich gebe zu bedenken: Das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz ist mit der dualen Berufsausbildung und dem, was daraus folgt, verknüpft. Die duale Ausbildung ist jetzt für unterschiedliche Berufsausbildungen geöffnet worden. Das bringt wahrscheinlich das Problem mit sich, dass dieses Gesetz nicht immer passt. Aber wenn wir nun sozusagen die gesamte Weiterbildung entsprechend gesetzlich regeln wollen, dann haben wir wirklich ein Problem; denn Bildungsförderung ist zu einem großen Teil Ländersache.

Deswegen reden wir heute Abend noch einmal über das Kooperationsverbot.

Vielen Dank.