Arme Kinder werden systematisch benachteiligt

IM WORTLAUT- linksfraktion.de |  Von Rosemarie Hein, bildungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Anfang dieses Jahres legten die Hans-Böckler-Stiftung und auch das Deutsche Kinderhilfswerk Studien zur Kinderarmut in Deutschland vor. Danach lebten 2014 etwa 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche in Armut. Das Kinderhilfswerk geht für dieses Jahr von einer Zahl von bis zu 3 Millionen Kindern und Jugendlichen aus. Kinder aus sozial benachteiligten Familien haben in der Regel auch geringere Bildungschancen. Kinder mit einem ausländisch klingenden Namen haben ebenso geringere Chancen, das Gymnasium zu besuchen wie Kinder aus sozial benachteiligten Familien. Das gilt selbst dann, wenn sie die gleiche Leistungsfähigkeit aufweisen wie ihre Mitschülerinnen und Mitschüler.

Trotz vollmundiger Versprechen gibt es die Chance auf einen gleichen Bildungszugang in Deutschland nicht. Auf der anderen Seite – so eine Bertelsmann-Studie vom Anfang dieses Jahres – geben Eltern jährlich 900 Millionen Euro für Nachhilfe aus. Das betrifft nicht nur die einkommensstarken Elternhäuser. Am häufigsten – fast 20 Prozent – nutzen Schülerinnen und Schüler am Gymnasium die Nachhilfe, um die Leistungen zu verbessern. Fast 47.000 Schülerinnen und Schüler verlassen jedes Jahr die Schule ohne einen Schulabschluss. Das sind deutschlandweit 5,5 Prozent aller Schülerinnen und Schüler. Sie haben ebenso wie die meisten der etwa 147.000 Jugendlichen mit Hauptschulabschluss schlechtere Chancen auf einen guten Ausbildungsplatz.

Das alles sind keine neuen Befunde. Das Deutsche Kinderhilfswerk schätzt ein, dass als Grund für die Stagnation der Kinderarmut „eine systematische Benachteiligung von armen Kindern im Bildungssystem ausgemacht“ werden muss, „die einen sozialen Aufstieg oder wenigstens eine wirtschaftliche Stabilisierung dieser Kinder bzw. ihrer Familien nachhaltig erschwert”. Schon 2014 hat das Deutsche Kinderhilfswerk die Politik dafür kritisiert. So urteilte es über das Bildungs- und Teilhabepaket: „Das Bildungs- und Teilhabepaket für Kinder und Jugendliche aus finanziell benachteiligten Familien ist und bleibt eine soziale Mogelpackung und bürokratische Stümperei.“

Die Gegenmaßnahmen, die in den letzten Jahren gegen die Ungerechtigkeiten beim Bildungszugang ergriffen wurden, sind allesamt unzureichend. Sie packen das Problem nicht bei der Wurzel. Neben wichtigen Maßnahmen für die Verbesserung der sozialen Lage der Familien sind gravierende Veränderungen im Bildungssystem erforderlich: mehr individuelle Förderung, mehr Ganztagsschulen, Gemeinschaftsschulen mit längerem gemeinsamen Lernen für alle Kinder und Jugendlichen, Bereitstellung kostenloser Lehr- und Lernmittel für alle, bessere frühkindliche Bildung und bessere Ausbildung von Lehrkräften und anderen pädagogischen Fachkräften, mehr Sozialarbeit an die Schulen.

Die Bildungsungerechtigkeit hat Ursachen. Dazu zählt zuerst das sozial ausgrenzende gegliederte Schulsystem in Gymnasium, Haupt- und Realschulbildungsgänge und in eine Vielzahl von Förderschulen. Die Zuweisung zu Schulformen mit geringerem Anspruchsniveau führt nicht zu besseren Bildungsabschlüssen – übrigens auch nicht für die Lernenden an Gymnasien – sondern zu schlechteren Bildungschancen für die meisten. Zum Zweiten aber ist zu nennen, dass das Bildungssystem in Deutschland seit Jahren stark unterfinanziert ist – ganz gleich mit welchen Zahlen sich die Bundesregierung gerade schmückt. Das Problem ist doch, dass die meisten ihrer Programme nur punktuell helfen und keine Flächenwirkung erreichen.

Die Hauptlast der Bildungsfinanzierung liegt seit Jahren komplett bei den Ländern. So haben die Länder 2012 fast 72 Prozent der öffentlichen Ausgaben für Bildung bezahlt, die Kommunen noch einmal über 21 Prozent. Nur 7 Prozent der öffentlichen Ausgaben für Bildung trägt der Bund. Dieser Unsinn muss aufhören. Wir brauchen eine Gemeinschaftsaufgabe Bildung im Grundgesetz. Dann können endlich wichtige bundesweite Bildungsaufgaben gemeinsam finanziert werden. Darum fordert DIE LINKE eine Aufhebung des 2006 verschärften Verbotes der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in Bildungsfragen und fordert die Einführung einer solchen Gemeinschaftsaufgabe um wichtige Bildungsaufgaben wie die Umsetzung von inklusiver Bildung, die Finanzierung von Schulsozialarbeit, die Integration von geflüchteten Kindern und Jugendlichen ebenso finanzieren kann wie bessere Kinderbetreuung, Lernmittelfreiheit und Schülerbeförderung. Wer gleiche Bildungschancen will, muss die Voraussetzung dafür schaffen. Hier ist endlich auch die Bundespolitik gefragt.