„Bildung ist das, was übrig bleibt, wenn das in der Schule Gelernte längst vergessen ist.“

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Rosemarie Hein - Antwort auf eine Zuschauerreaktion zu meiner Position in der MDR-Sendung Fakt ist! vom 13.6.2016

 

Liebe Frau …,

für Ihren Beitrag möchte ich mich bedanken, gibt er mir doch die Möglichkeit, meine Auffassungen noch etwas detaillierter zu erläutern, als es im Laufe einer solchen Sendung geht.

Ich bin der festen Überzeugung, dass es nicht möglich ist, eine nur halbwegs repräsentative Auswahl aus dem Menschheitswissen in zehn oder zwölf oder auch dreizehn Schuljahre zu packen. Wissen, das dann in Prüfungen abgefragt werden kann.

Eine Thüringer Schriftstellerin hat einmal gesagt: „Der Kopf ist zum Denken da, nicht zum Merken.“ Sie hat Recht. Junge Menschen – und auch ältere – werden heute vielmehr in der Lage sein müssen, neues Wissen, neue Sachverhalte oder auch neue Zusammenhänge selbst zu erarbeiten. Sie müssen mit dem, was ihnen in unserer informationsüberfluteten Welt täglich angeboten wird, kritisch umgehen können, sie müssen sachkundig auswählen können und das erworbene Wissen auch in anderen Zusammenhängen anwenden können. Das erfordert selbstbewusste junge Menschen, die auch nicht alles glauben, was man ihnen vorsetzt. Gleichzeitig benötigen sie dafür ein anderes Wissen. Nämlich wie man lernt, wie man sich neue Themen erschließt. Sie müssen in Zusammenhängen denken können… Das nenne ich Kompetenzen und eben nicht Skills. Skills sind eher Qualifikationen für die Verwertbarkeit am Arbeitsmarkt. Das ist mir zu wenig. Allgemeine Bildung ist viel umfassender und auf die ganze Persönlichkeit gerichtet. Sie umfasst neben Kenntnissen und Fähigkeiten eben auch soziales Verantwortungsbewusstsein.

Und dafür braucht man natürlich Wissen. Aber eben nicht Fachwissen in dieser Detailtreue und Umfänglichkeit, wie es heute erwartet wird.

Und wir müssen endlich begreifen, dass Menschen sehr unterschiedlich sind, nicht nur in ihren Fähigkeiten, sondern vor allem in ihren Stärken und Interessen. Diese unterschiedlichen Stärken entwickeln zu können, muss eine moderne Schule den Raum geben. Und das erfordert eben nicht, allen den gleichen Stoff einzubimsen, sondern es erfordert Vielfalt auf einem gleichwertigen und vergleichbaren Niveau.

Es ist immer schwierig, über die Veränderungen in einem System zu diskutieren, wenn die Bereitschaft nicht da ist, die Grenzen dieses Systems aufzubrechen. Aber es passiert doch schon: an guten Schulen, die aber an der Enge des Systems vermeintlicher Vergleichbarkeit scheitern, oder aber es passiert im wirklichen Leben, das dann jedoch nur noch wenig mit Schule zu tun hat. Junge Menschen suchen sich heute schon das, was sie brauchen, im Internet. Sie lernen – außerhalb der Schule – womöglich nachhaltiger, weil sie aus einem eigenen Antrieb heraus lernen, der nicht von der drohenden Prüfung vorbestimmt ist.

Und wenn wir nicht wollen, dass die Schule nur noch zu einer Zwangsveranstaltung zur Erfüllung der Schulpflicht wird, dann müssen wir sie, die Schule,  ändern. Dann muss sie sich an der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen orientieren, dann muss sie sich in die Gesellschaft öffnen, dann muss sie für alle gleichermaßen zugänglich sein und für alle die gleichen Bildungschancen bieten. Dann darf sie nicht ein Instrument der Elitenauswahl sein, sondern sie muss eine demokratische Schule für alle sein. Eigentlich im besten Sinne eine Gemeinschaftsschule – bis zum Abitur.

„Bildung ist das, was übrig bleibt, wenn das in der Schule Gelernte längst vergessen ist.“ Dieser Satz wird so oder so ähnlich Mark Twain zugeschrieben, Albert Einstein oder auch dem Nobelpreisträger Werner Heisenberg. Ich habe ihn bei Inge von Wangenheim gelesen, der oben erwähnten Thüringer Schriftstellerin. Ich finde, das sollte uns nachdenklich machen, ob es wirklich sinnvoll ist, was wir jungen Menschen abverlangen. Möglicherweise werden aus ihnen gebildete Menschen, obwohl die Schule, wie sie heute gestrickt ist, ihnen das nicht unbedingt leicht macht. Die Schule sollte genau das zum Ziel haben, insbesondere, wenn sie auf wissenschaftliche Arbeit vorbereiten will, aber nicht nur dann. Gute Schulen bemühen sich darum schon heute.