Berufsbildungsbericht zeigt Stagnation und keine positive Gesamtbilanz

09.06.2016 – REDE IM BUNDESTAG | Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will meine Rede mit einem Dank beginnen, einem Dank an das Bundesinstitut für Berufsbildung. Von ihm werden wir Jahr für Jahr mit verlässlichen Daten zur Entwicklung der beruflichen Bildung versorgt. Daten, die die Politik zum Handeln anregen sollten. Aber irgendwie handelt die Politik nicht, außer dass die Liste der von Bund und Ländern aufgelegten Unterstützungsprogramme, deren Namen man sich gar nicht alle merken kann, immer länger wird. Ansonsten gibt es keine wirklichen nachhaltigen Reaktionen.

Auch die Ende des Jahres 2014 geschlossene Allianz für Aus- und Weiterbildung, der die Bundesregierung angehört, bringt, wie alle Pakte vor ihr nicht die gewünschten Ergebnisse, obwohl nun auch die Gewerkschaften am Tisch sitzen. Ich will nur ein Beispiel nennen: 20 000 zusätzliche Stellen sollten gemeldet werden, aber nicht einmal die Hälfte ist erreicht. Das ist eine Bankrotterklärung.

(Beifall bei der LINKEN - Rainer Spiering (SPD): Oh!)

Darum kann ich auch nicht verstehen, wieso in der Öffentlichkeit immer wieder von einer positiven Gesamtbilanz des Berichts gesprochen wird. Die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge geht leicht zurück, die Zahl der ausbildenden Betriebe auch. Die Zahl der betrieblichen Ausbildungsverträge ist zwar leicht gestiegen   um 0,1 Prozent; das sind deutschlandweit ganze 500 Verträge mehr! Aber im Bericht wird das als ein „erfreulicher Anstieg“ bezeichnet. Dafür aber wurden 19 000 außerbetriebliche Ausbildungsplätze abgebaut. Ob das eine kluge Entscheidung war, möchte ich bezweifeln; denn wir wollen auch den vielen zugewanderten jungen Menschen eine Ausbildung ermöglichen. Vielleicht könnten wir die dann gut brauchen.

Die Veränderungen -nach oben und nach unten- in diesem Bericht bewegen sich alle im Nullkommaprozentbereich. Es gibt nach wie vor 80 000 erfolglos suchende Bewerberinnen und Bewerber, darunter 20 000, die überhaupt kein Angebot erhalten haben. Das ist keine positive Gesamtentwicklung, sondern Stagnation. Das zieht sich nun schon über Jahre hin. Der einzige Posten, der wächst, ist der der unbesetzten Ausbildungsplätze. Der ist nämlich um 10 Prozent auf 41 000 gewachsen. Aber doppelt so viele haben erfolglos gesucht.

In einigen Branchen und Berufen ist die Bewerberzahl doppelt so hoch wie die der angebotenen Ausbildungsplätze. In anderen Branchen bleiben tausende Ausbildungsplätze frei. Die Bundesregierung erklärt das seit Jahren mit Passungsproblemen. Ich glaube nicht, dass sie das sind. Ich will das vielleicht einmal an einem sehr drastischen Beispiel deutlich machen. Der erfolglosen Bewerberin auf eine Stelle als Tierpflegerin kann man doch nicht ernsthaft anbieten, lieber Fleischerin zu werden, weil das irgendwie auch etwas mit Tieren zu tun habe.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Nein, dieser Zustand der offenen Plätze hat mit der Attraktivität von Berufen und der Ausbildungsqualität ebenso zu tun wie mit Erwartungshaltungen von Unternehmen. So meinte kürzlich ein gar nicht so kleines Unternehmen, alle seine Ausbildungsplätze benötigten unbedingt das Abitur als Zugangsvoraussetzung. Das Unternehmen bildet zum Beispiel Industriekaufleute, Elektronikerinnen und Elektroniker und Fachkräfte für Abwassertechnik aus. Anspruchsvolle Berufe durchaus, aber warum sind dafür die anderen Schulabschlüsse nichts wert?

270 000 Jugendliche befinden sich diesmal im Übergangssystem. Die Erhöhung soll sich aus der Zuwanderung erklären. Zahlen können das nicht belegen. Aber ich will das einmal so akzeptieren; denn anders lässt es sich fast nicht erklären. Die Jugendlichen warten im Übergangssystem alle auf eine vollwertige Ausbildung. Mehr als drei Viertel von ihnen hat einen Schulabschluss. Dass dieser Übergangsbereich ein geeignetes Mittel ist, alle junge Menschen, die es wollen, in Ausbildung zu bringen, ist ebenfalls ein Märchen. Das kann man in diesem Bericht auch leicht sehen, nämlich wenn man die Zahlen der sogenannten Altbewerberinnen und Altbewerber betrachtet: Das waren im vergangenen Jahr 185 000.

Ich möchte gerne noch mit einem anderen Märchen aufräumen: mit der vermeintlich zu hohen Studierneigung, die die Attraktivität der dualen Ausbildung gefährde.

(Uwe Schummer (CDU/CSU): Wer behauptet das denn?)

Doch das ist ein Trugschluss, und zudem ist es weltfremd. Zum einen gehen viele junge Menschen mit Abitur den Weg einer dualen Ausbildung - mein Vorredner hat es gerade gesagt -, und zum anderen nehmen die Zahlen im dualen Studium seit Jahren zu; auch das ist im Bericht nachzulesen. Ausgeblendet wird jedoch immer noch, dass es Berufsausbildungen gibt, die nicht vom Berufsbildungsgesetz oder der Handwerksordnung erfasst werden. Das sind nicht nur die Gesundheitsberufe, sondern auch die vielen anderen nach Landesrecht geregelten schulischen Berufsausbildungen.

Im vergangenen Jahr haben - auch das steht im Bericht - 234 000 junge Menschen eine solche Ausbildung begonnen. Rechnet man die zu den 520 000 Ausbildungsverträgen im dualen Bereich hinzu, dann kann man doch nicht von einer zu hohen Studierneigung reden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit Jahren weist der Berufsbildungsbericht auch aus, welche beruflichen Perspektiven Menschen mit Behinderungen in unserem Lande haben. Noch im Jahre 2008, also vor der UN-Behindertenrechtskonvention, wurden sie hauptsächlich auf die Maßnahmen des Übergangsbereiches verwiesen. Das hat sich nun geändert. Im Berufsbildungsbericht wird seitdem und immer stärker ausdrücklich darauf verwiesen, dass Menschen mit Behinderungen in allen anerkannten Ausbildungsberufen, die ihnen zur Verfügung stehen, ausgebildet werden können. Außerdem steht in diesem Bericht: Wenn ihnen das wegen des Grades ihrer Behinderung nicht möglich ist, „sollen die zuständigen Stellen … aus den Inhalten anerkannter Ausbildungsberufe besondere Ausbildungsregelungen entwickeln“. Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung Inklusion, allerdings ist er noch sehr mager.

Einer jungen Frau im Rollstuhl wurde zum Beispiel im Rahmen der Berufsberatungg geraten, statt des gewünschten Germanistikstudiums lieber eine Uhrmacherlehre anzutreten. Als sie sich weigerte, wurde sie zum Psychologischen Dienst geschickt. Wenn das das Ergebnis von Berufsberatung ist, läuft etwas falsch.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Keine Sorge, die junge Frau hat sich durchgesetzt, auch dank ihrer Lehrerin. Aber wie vielen gelingt das nicht! Darum haben wir Ihnen einen Antrag zur Durchsetzung von Inklusion im Bereich der beruflichen Bildung vorgelegt.

Hier ist Inklusion vielleicht schwerer umzusetzen als in anderen Bildungsbereichen; das will ich gerne zugestehen. Aber wenn es uns wichtig ist, dass jeder junge Mensch eine berufliche Zukunft in unserem Land haben soll, dann müssen wir auch dafür sorgen, dass jeder junge Mensch eine entsprechende Ausbildung bekommen kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Dabei dürfen nicht nur wenige Berufe für Menschen mit Handicaps zur Verfügung stehen, sondern auch hier muss die freie Berufswahl gelten. Die entsprechenden Voraussetzungen müssen geschaffen werden, und die nötigen Unterstützungsleistungen müssen dann auch gewährt werden.

Das ist noch ein weiter Weg; denn darauf muss sich nicht nur das Bildungssystem, sondern auch die Arbeitswelt einstellen, die Unternehmen vor allem. Sie alle brauchen eine bestimmte Unterstützung. Weil es nicht ganz einfach ist, das durchzusetzen, fangen wir auch nicht mit der reinen Lehre und den Maximalforderungen an, sondern wir versuchen Wege zu eröffnen, auch in der Berufsausbildung zu einer inklusiven Gesellschaft zu kommen, also zu einer Gesellschaft, die niemanden ausgrenzt.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das erfordert Maßnahmen der Weiterbildung für Lehrkräfte, des Ausbildungspersonals, auch für sachkundigere Beratung im Übrigen. Leider kann man im Moment noch nicht absehen, ob das Teilhabegesetz, das nun auf den Weg gebracht wird, hier irgendeine Verbesserung bringt. Wir sehen sie noch nicht. Ich hoffe im Zuge der Debatte, die wir noch haben werden, auf mehr Verständnis.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Übrigen - das vielleicht zuletzt -: Angesichts der vielen Fehlstellen, von denen ich nur wenige nennen konnte, kann ich nicht verstehen, warum die Bundesregierung so wenig Bedarf zur Novellierung des Berufsbildungsgesetzes sieht.

(Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Weil das gut ist!)

Ich kann nicht verstehen, wieso das auch noch bis fast ans Ende der Wahlperiode verschoben werden soll, zumindest nach den Planungen, die uns bekannt sind. Das sieht so aus, als wollten Sie es eigentlich nicht haben. Ich halte das für falsch. Die Herausforderungen sind groß, und wir müssen sie bestehen. Das Berufsbildungsgesetz gehört dazu.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)