Es ist die gebildete Gesellschaft, die wir so dringend brauchen
06.09.2016 – REDE IM BUNDESTAG | Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin! Herr Kretschmer, das mit dem Deutschlandstipendium haben Sie jetzt selber nicht so richtig geglaubt. Aber gut, ich komme darauf vielleicht noch kurz zu sprechen.
Ein Jahr vor der Bundestagswahl ist es natürlich angemessen, die Koalition beim letzten Haushalt in dieser Wahlperiode an ihren Zielen zu messen. Ja, der Bildungshaushalt hat über die Jahre deutliche Auswüchse –
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Auswüchse?)
– Aufwüchse erfahren – ja, manchmal auch Auswüchse –, aber ich muss das relativieren. So sollte zum Beispiel Ende des vergangenen Jahres die von der Bundeskanzlerin ausgerufene Bildungsrepublik Wirklichkeit geworden sein.
Danach sollten unter anderem 10 Prozent, nicht 9 Prozent, des Bruttoinlandsproduktes in Bildung und Forschung fließen. Bei der Forschung haben Sie Ihr Ziel erreicht, bei der Bildung nicht; denn nach den Zahlen des Jahres 2014 – jüngere Zahlen stehen nicht zur Verfügung; deshalb müssen wir diese nehmen – fehlten an diesem 10-Prozent-Ziel allein im Bereich der Bildung fast 27 Milliarden Euro. Natürlich ist das nicht allein im Bundeshaushalt zu schultern. Das weiß auch ich, aber das macht die Defizite deutlich. Was hätten wir mit diesem Geld alles finanzieren können!
Dann kommen noch einige Milliarden Euro drauf; denn das Wirtschaftswachstum ist erfolgreich gewesen. Es gibt ein größeres Bruttoinlandsprodukt, also gibt es noch mehr Milliarden. Da sind wir aber noch lange nicht. Die Länder können dank der Schuldenbremse, die Sie ihnen auferlegt haben, die Bildungsausgaben nicht in dem erforderlichen Maße steigern. Darum läuft die Regierung ständig ihren eigenen Zielen hinterher. Das kann nicht befriedigen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Natürlich haben Sie auch in diesem Haushalt wieder deutlich mehr Geld für Bildung und Forschung eingeplant. Seit 2014, also Anfang der Legislatur, sind es insgesamt 3,5 Milliarden Euro mehr. Das ist nicht wenig, aber wesentliche Bildungsausgaben können damit nicht in Angriff genommen werden. Das Geld im Bildungshaushalt wird vor allem für die Leistungsfähigkeit des Bildungswesens, für das Wissenschaftssystem und die Forschungspolitik ausgegeben.
(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Was ist dagegen zu sagen?)
Aber nur 4,7 Milliarden Euro – das sind etwa 27 Prozent des ganzen Bildungshaushalts – stehen für den gesamten Bereich der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens und der Nachwuchsförderung zur Verfügung. Das sind neben der allgemeinen und beruflichen Bildung auch die Weiterbildung, die Begabtenförderungswerke, alle Fördersysteme, die wir haben, und die Qualitätsoffensive Lehrerbildung außerdem noch.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alphabetisierung!)
Wenn man diese Zahl nimmt, dann stellt man fest: Es ist deutlich zu wenig, was für diesen Bereich auch von Bundesseite ausgegeben wird.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Hier liegt nämlich die Basis für eine erfolgreiche Bildungsrepublik. Hier entsteht eine gebildete Gesellschaft, die wir dringend brauchen. Hier muss geklotzt werden, nicht gekleckert. Da helfen noch so viele befristete Förderprogramme nicht weiter. Wir brauchen eine deutlich bessere Grundfinanzierung, und zwar im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge und nicht über ein Deutschlandstipendium, das weder sozial noch gerecht ist.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deutlich mehr Mittel gibt es für die Hochschulen, nämlich etwa 7 Milliarden Euro. Darin ist unter anderem der Hochschulpakt und der Qualitätspakt Lehre eingeschlossen, aber eben auch die Exzellenzinitiative. Eines wird deutlich: Der Bund fördert vor allem prestigeträchtige Objekte. Bei der Finanzierung zusätzlicher Studienplätze wird geknausert, obwohl sich die Summe gut anhört. Aber es ist noch lange nicht so, dass jeder junge Mensch, der studieren will, auch einen Studienplatz erhält, selbst wenn er gute Abiturnoten hat.
Auch mit der kompletten Übernahme der BAföG-Finanzierung haben Sie die Grundfinanzierung der Hochschulen auf keine soliden Füße gestellt. Die Unterfinanzierung des Hochschulsystems ist noch lange nicht beendet. Nun klagen Sie nicht wieder, dass die Länder die entsprechenden Mittel nicht richtig ausgegeben, sondern andere Dinge finanziert hätten. Das ist nun einmal so – das wissen Sie auch –: Die Länder entscheiden, wofür sie ihr Geld ausgeben.
(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Aber das macht es doch nicht besser, Frau Hein!)
Wenn sie es für frühkindliche Bildung ausgeben wollen, dann ist auch das in Ordnung; denn auch frühkindliche Bildung ist Bildung – auch wenn das nicht in jeden Koalitionskopf hineingeht.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
In der Konsequenz der permanenten Unterfinanzierung werden dringende Bildungsaufgaben überhaupt nicht erst angefasst, zum Beispiel die Förderung von Profilschulen IT, die sie in Ihrer Koalitionsvereinbarung angesprochen haben. Dieses Vorhaben ist sang- und klanglos eingegangen, scheint mir. Naturwissenschaftliche Bildung, auch ein Profilierungspunkt, ist in den „Häusern der kleinen Forscher“ stecken geblieben. Von Inklusion findet man im ganzen Haushalt nichts.
Was also tun? Es reicht nicht, dass Sie das Verbot der Kooperation zwischen Bund und Ländern für die Wissenschaft aufgehoben haben. Wir brauchen wieder eine Zusammenarbeit im gesamten Bildungsbereich zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Dazu wäre es sinnvoll, ein bundesweites Bildungsrahmengesetz zu verabschieden, das alle Bildungsbereiche, auch die Weiterbildung, umfasst.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn Ihnen das zu schnell geht, dann gehen Sie doch den kleinen Schritt – auch das kann man machen –, nämlich die Anwendung der in Artikel 91a des Grundgesetzes verankerten Möglichkeit einer Gemeinschaftsaufgabe oder einer Verwaltungszusammenarbeit. Diese Möglichkeit gibt es, wenn es sich um wichtige Aufgaben handelt, die die Gesamtheit des Landes betreffen; Bildung ist eine solche. Die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur wird dort zum Beispiel als eine solche Möglichkeit der Zusammenarbeit genannt. Es versteht doch niemand, warum das bei der Bildung nicht möglich sein soll.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Darum wäre es doch sinnvoll, Artikel 91a Absatz 1 des Grundgesetzes um eine Nummer 3 zu erweitern. Dort könnte es zum Beispiel heißen: Sicherung einer leistungsfähigen Bildungsinfrastruktur. – Schon könnten der Bund und die Länder Vereinbarungen treffen, wie die wichtigsten und drängendsten Finanzierungsaufgaben in Bildungsfragen verbessert werden können. Den Ländern würde nichts von ihrer Kompetenz genommen, und der Bund wüsste außerdem noch, wohin das Geld geht, Herr Heil.
(Beifall bei der LINKEN)
Das wäre doch etwas: Man könnte Ganztagsschulen schaffen, Schulen könnten saniert werden, Schulen könnten für das digitale Zeitalter ausgerüstet werden, und man könnte auch noch die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Inklusion schaffen.
Das ist jetzt der dritte Vorschlag, den wir Ihnen in dieser Richtung machen. Machen Sie von mir aus noch einen vierten oder fünften; aber tun Sie endlich etwas dafür, dass die Zusammenarbeit in der Bildung zwischen Bund und Ländern Wirklichkeit wird.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)