Rosemarie Hein: Rede zum Tag der Befreiung am 8. Mai 2013

In Magdeburg und Schönebeck

Heute vor 68 Jahren wurde das Hitler-Regimes besiegt. Ich zitiere aus der Kapitulationsurkunde:

„Wir, die hier Unterzeichneten, handelnd in Vollmacht für und im Namen des Oberkommandos der Deutschen Wehrmacht, erklaeren hiermit die bedingungslose Kapitulation aller am gegenwaertigen Zeitpunkt unter deutschem Befehl stehenden oder von Deutschland beherrschten Streitkraefte auf dem Lande, auf der See und in der Luft gleichzeitig gegenueber dem Obersten Befehlshaber der Alliierten Expeditions-Streitkraefte und dem Oberkommando der Roten Armee.“

Mit dieser Kapitulation endete für die Völker Europas ein grausamer Vernichtungskrieg, den das Hitlerregime angezettelt hatte.

Opfer waren etwa über 50 Millionen Menschen.
Unter ihnen
37 Mio. Bürgerinnen und Bürger der Sowjetunion,
5 Millionen Polinnen und Polen,
6 Millionen Jüdinnen und Juden.

Zu den Opfern zählen Soldaten im Kriegseinsatz und zivile Opfer in den Städten und Dörfern, aber auch Kriegsgefangene, Sinti und Roma, Opfer des faschistischen Rassenwahns und Opfer der Euthanasie und Andersdenkende, Andersliebende, Mitglieder von Religionsgemeinschaften und politische Gegner des Hitlerregimes. Einige der gefallenen sowjetischen Soldaten sind hier begraben. Wir sind hier her gekommen um ihrer und aller Opfer zu gedenken.

Der Größenwahn der faschistischen Machthaber hat ganz Europa und Deutschland ins Elend gestürzt. Darum kann ich es nicht verstehen, dass manche Historiker, wie neulich Professor Möller aus München aus Anlass des zwanzigjährigen Bestehens der Stiftung der Archive der Parteien und Massenorganisationen der DDR, heute noch einfach von einer Niederlage Deutschlands im Zweiten Weitkrieg reden, als seien Kriege politisches Tagesgeschäft, bei dem man eben auch verlieren kann.

Dass sich das vereinte Deutschland immer noch schwer tut, den Tag der Befreiung als solchen anzuerkennen, ist symptomatisch für eine halbherzige Geschichtsaufarbeitung.

Andere Symptome sind die mantraartig wiederholte Gleichsetzung des Naziregimes mit der Geschichte der DDR. Bei aller berechtigter Kritik an der DDR und ihrem Umgang mit Andersdenkenden: Wenn im Zusammenhang damit von „den beiden Diktaturen“ geredet wird, findet nicht nur eine abenteuerliche Gleichsetzung des Hitlerfaschismus mit dem Staat DDR statt, sondern eben auch eine Verharmlosung der Verbrechen der Nazis und ihrer Singularität.

Der Streit um die bessere Aufarbeitung der Geschichte Deutschlands ist müßig, wenn er dazu führt, dass man auf dem rechten Auge blind ist. Wenn zivilgesellschaftlicher Ungehorsam gegen Naziaufmärsche stärker beargwöhnt wird als diese selbst, wenn Vereine und Verbände, sie sich gegen Fremdenfeinlichkeit und Rassismus einsetzen, Demokratieerklärungen abgeben müssen, bevor sie in den Genuss öffentlicher Förderung kommen, rechte Demos aber immer genehmigt werden.

Dann muss man sich nämlich auch nicht wundern, wenn die Nazimorde der NSU über fast ein Jahrzehnt nicht als rechtsextreme Straftaten erkannt und verfolgt wurden. Dass ein solches Trio mit ihren menschenverachtenden Zielen, mit Helfern und Helfershelfern so lange unentdeckt geblieben ist, wirft Fragen auf nach der Ernsthaftigkeit geschichtlicher Aufarbeitung in unserem Land.

Dabei geht es beileibe nicht nur um die Frage, warum diese Morde möglich wurden.
Es geht um die Frage, wie es um eine Gesellschaft bestellt ist, in der rechtes Denken bis in die Mitte der Gesellschaft reicht.
Es geht um die Frage, warum vor allem junge Leute sich von diesen rechten Rattenfängern schon wieder in ihren Bann ziehen lassen, warum sie in Magdeburg und anderswo Krokodilstränen vergießen können über den sogenannten Bombenterror der Alliierten am Ende des Zweiten Weltkrieges.

Es darf diesen scheinheiligen alten und neuen Nationalisten nicht gelingen, Geschichte umzudeuten. Dafür stehen wir hier. Für uns war und bleibt der 8. Mai ein Tag der Befreiung von einem mörderischen faschistischen Regime.

Wir wissen: Das erste, was im Kriege stirbt, ist die Wahrheit. Wir wollen die Wahrheit bewahren. Der Zweite Weltkrieg begann mit einer Lüge, der Lüge über die Bedrohung aus dem Osten. Fast alle Kriege heute in der Welt haben mit Lügen begonnen oder mit der Anmaßung, sich über andere Länder zu erheben zu dürfen, oder mit dem Versuch, den Machterhalt gegen die eigene Bevölkerung mit Waffengewalt durchzusetzen.

Der Krieg, der von Deutschland ausgegangen war, viele Länder verwüstete und viele Völker in Not und Elend stürzte, ist an seinem Ende nach Deutschland zurückgekehrt.

Nach dem zweiten Weltkrieg vereinte viele Deutsche in Ost und West der Wille, dass von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen dürfe. Auch heute ist das noch so. Aber dennoch: Deutschland ist seit Jahren wieder in kriegerische Handlungen verstrickt, auch wenn man versucht, mit humanitären Zielsetzungen zu rechtfertigen.

Auch heute herrscht an vielen Orten der Welt Krieg. Sie kommen nicht alle in den täglichen Nachrichten vor. Doch allein von 1990 bis 2010 starben 800 000 Menschen in Kriegen. An einigen ist die Bundesrepublik Deutschland beteiligt.

Es wird immer mehr Menschen deutlich, dass solche Kriege, auch wenn sie noch so humanitär begründet werden, den betroffenen Regionen keinen Frieden bringen. Sie lösen keine Konflikte, kosten nur Menschenleben.

Die Bundestagsfraktionen meiner Partei war und ist die einzige, die bei den notwendigen Entscheidungen im Bundestag dazu immer und konsequent mit Nein gestimmt hat. Wir werden uns auch weiter allen Kriegseinsätzen verweigern. Das wird in der Öffentlichkeit immer mehr anerkannt. Man zählt auf uns. Und wir werden verlässlich bleiben.

Sehr oft wird im Deutschen Bundestag der Leistungen der Soldaten in diesen Kriegseinsätzen gedacht. Selten bis nie der Opfer in diesen Konflikten. Als die Bundestagsfraktion DIE LINKE diesen Umstand nicht mehr hinnehmen wollte und wortlos im Plenum der afghanischen Opfer durch die Bombardierung des Tanklastzuges gedachte, sprach man von einer Beschädigung des Parlamentes.

Volker Braun hat diesen Umstand in einem Gedicht „Das beschädigte Parlament“ aufgegriffen. Ich will daraus kurz zitieren:
„Diese Vorlauten, Wortlosen wurden Aus dem Saal gewiesen, weil die Würde Des Hohen Hauses schwer beschädigt sei. Ort verbaler, nicht plakativer Debatten.“

Ja, mit solchen Beschlüssen beschädigt sich das Parlament eines Landes, das nur dem Frieden in der Welt verpflichtet sein sollte.Darum ist es wichtig, das Andenken an diesen Tag der Befreiung zu wahren. Ich danke Ihnen allen, dass Sie hier her gekommen sind.