Erinnerungsworte auf dem Westfriedhof in Magdeburg

Werte Angehörige, liebe Magdeburgerinnen und Magdeburger,

es ist mir eine Ehre heute aus diesem Anlass vor ihnen sprechen zu dürfen.
Die Stolpersteine, die wir heute verlegt haben, sind ein Teil des größten dezentralen Mahnmals, das an die Opfer des Faschismus erinnert.

Mehr als 22.000 wurden bisher verlegt. Erinnerung an über 22.000 Opfer des faschistischen Terrors in ganz Europa.

Die kommunistische Widerstandsgruppe Danz aus Magdeburg gehört dazu. Ihren Widerstand gegen das faschistische Regime in Deutschland, den sie mit dem Leben bezahlten, würdigen wir heute.

Sie waren in die Illegalität gezwungen und haben ihren Widerstand gegen das verbrecherische System trotz aller Gefahr nicht aufgegeben.

Was illegale Arbeit heißt beschreibt Peter Weiss so:

„Außerhalb dieser Zelle, hinter den bröckelnden Mauern, dem Treppengebälk, dem Hofschacht, war nur Feindlichkeit, hier und da durchsetzt von ähnlich kleinen verriegelten Räumen, die immer seltener wurden, immer schwerer aufzuspüren oder schon gar nicht mehr zu finden waren. Jedes Wort musste aus der Machtlosigkeit herausgesucht werden, um jenen Ton zu treffen, mit dem wir uns seit vier Jahren Ausdauer, Zuversicht und Lebenskraft zusprachen. Die erlittene Katastrophe zu verwinden war jedes Mal Voraussetzung für alles, was unternommen wurde, sei es allein oder unter Gleichgesinnten…. Selbst wenn unsre Gespräche dann alltäglich schienen oder sich zunehmend zu sammeln begannen, immer waren sie beschwert durch die Nähe einer tödlichen Gefahr… Daß Müdigkeit, Überanstrengung manchmal überhand nehmen konnten, wollten wir nicht gelten lassen... Wenn es soweit war, gingen wir darüber hinweg, warteten ab, bis es vorbei war, und gedachten der Gefängnisse, der Moore, der mit Stacheldraht umzäunten Torturfelder, und fanden uns nach einer Weile wieder in einem Zusammenhang, in dem es trotz der scheinbaren Ausweglosigkeit, bestimmte Haltpunkte und Richtlinien gab. Nach dem Versäumnis des Zusammengehens, nach der Zerschlagung unserer Organisationen, besaßen wir in der grünlich umdunkelten Kammer eine Reihe gemeinsamer Vorstellungen, die unverrückbar waren…“

(Aus: Peter Weiss. Die Ästhetik des Widerstandes. Erster Band, Berlin 1987, Seite 26)

Diese Beschreibung aus Peter Weiss´ Roman „Die Ästhetik des Widerstandes“, das ich Ende der achtziger Jahre gekauft und dann in einem Zug gelesen habe, bedeutet mir bis heute unheimlich viel. Es hat mir mehr über den antifaschistischen Kampf und das Leben der Menschen, die ihn geführt haben, vermittelt als alle Geschichtsstunden zuvor das vermocht haben.

Diese Menschen, die dem Faschismus ihren Widerstand entgegensetzten, waren keine Heroen. Sie waren Menschen wie wir hier, mit Träumen, Wünschen, Hoffnungen, auch mit Fehlern und Schwächen und vor allem einer ganz anderen Lebensplanung. Dass sie, selbst nach der Erfahrung in den Gefängnissen der Faschisten, immer wieder im Widerstand zusammenfanden, ist ihrem tiefen Humanismus und Gerechtigkeitsgefühl zu danken, ihrer Überzeugung, dass der Widerstand gegen dieses unmenschliche System, das ganz Europa in einen verheerenden Krieg gestürzt hat, und das Millionen Menschen das Leben kostete, menschliche Verpflichtung ist.

Dieser Widerstand gehört zum wertvollsten geschichtlichen Erbe unseres Landes, unserer Stadt. Wir erinnern an ihn und an die Menschen, die ihn führten, weil er und weil sie nicht in Vergessenheit geraten dürfen.

Widerstand gegen den Faschismus wurde auf unterschiedliche Wiese geleistet und durch unterschiedlichste Gruppen. Keine dieser Gruppen ist geringer als andere zu schätzen. Der kommunistische Widerstand gehört dazu.

Eine Hierarchisierung des Widerstandes verbietet sich nicht nur aus heutiger Sicht, denn zu den bitteren Erfahrungen aus dieser Zeit gehört, dass es diesen unterschiedlichen Kräften des Widerstandes nicht möglich war, sich zu verbünden. So waren sie leichter zu besiegen.

Lassen Sie mich aus aktuellem Anlass betonen, dass darum niemand das Recht hat, heute Opferverbände zu diskreditieren und das alles unterlassen werden muss, dass die Singularität des Holocaust, des Faschismus und seiner Verbrechen in Frage stellt, auch nicht durch wissenschaftliche Vergleichsdebatten.

Die Aktion „Stolpersteine“ ehrt alle Opfer gleichermaßen. Das ist gut. Es entspricht unserer Einsicht, dass gegen den neuen Rassismus und Faschismus alle anständigen Menschen zusammenstehen müssen, so wie es in Magdeburg mit der Meile der Demokratie jedes Jahr im Januar geschieht. Das sage ich gerade auch an die Adresse der jungen Generation in unserer Stadt. Viele von ihnen nehmen heute schon sehr bewusst Stellung gegen Rassismus und aufkeimenden Faschismus. Projekte wie Schule ohne Rassismus tragen ihren unersetzbaren Teil dazu bei.

Liebe Schülerinnen und Schüler der Sportsekundarschule, ich wünsche mir von euch, dass ihr euch dieser Geschichte immer bewusst seid und dass ihr niemals Parolen folgt, die Deutschland und Europa schon einmal in eine verheerende Katastrophe gestürzt haben. Und bitte sorgt auch in eurem Freundeskreis dafür, dass solche Parolen in ihren Köpfen und Herzen keinen Platz finden.

Widerstand gegen solche menschenverachtende Gesinnung ist humanistische Pflicht.

Hermann Danz, Fritz Rödel, Hans Schellheimer und Martin Schwantes wurden heute vor 65 Jahren für ihren mutigen Widerstand hingerichtet. Hubert Materlik ist schon im Juli 1944 an den Folgen der Folter in der Haft verstorben.

Die Mitglieder der Gruppe Danz, derer wir heute, am 65. Jahrestag ihrer Ermordung gedenken, werden in der Geschichte Magdeburgs und in unserer Erinnerung einen festen Platz haben. Ihr Leben ist uns Mahnung und Aufforderung.

Wir werden sie nicht vergessen.

Magdeburg am 5. Februar 2010